Plädoyer für die Schönheit

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Optimismus
Susanne Müller
Das graue Gespenst der Mutlosigkeit spukt derzeit durch viele Unternehmensetagen. Führungskräfte sind oft abgekämpft, Mitarbeitende frustriert. Wie wenn ein Stein in den Teich fällt, zieht die Unzufriedenheit immer weitere Kreise und wirkt sich auf den gesamten Betrieb aus. Professor Jan Teunen weiß ein Gegenmittel. „Nur die Leidenschaft für die Schönheit kann uns retten“, ist er überzeugt.
Jede Firma habe eine Unternehmenskultur, erklärt der Geschäftsführer der Teunen Konzepte GmbH. „Doch der Begriff ist dehnbar wie ein Gummiband. Betriebe mit destruktiver Kultur verschwinden früher oder später vom Markt. Ist sie konstruktiv, winkt eine gute Zukunft.“ Als Culture Capital Producer – so seine Berufsbezeichnung – hat er die Auswirkungen emotionaler Misswirtschaft häufig beobachten können. In Beratungsgesprächen mit Chefs und Managern arbeitet er deshalb darauf hin, ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher und ethischer Verantwortung herzustellen: „Dieses Gleichgewicht ist die Voraussetzung für das Entstehen einer veritablen Unternehmenskultur, eine Kultur, in der sich die Potenziale talentierter Mitarbeiter optimal entfalten lassen.“
Unternehmen im Dilemma
Das klingt jetzt erst einmal theoretisch. Doch in Anbetracht des Umstandes, dass viele Unternehmen vornehmlich Produktivität, Marktorientierung und Profit im Blick haben, lässt sich leicht erahnen, dass menschliche Bedürfnisse dabei auf der Strecke bleiben können. „In der heutigen Zeit mit ihren Krisen und Anforderungen stecken wird in einem Dilemma fest“, so Jan Teunen. „Wir können nicht einfach weitermachen wie bisher, aber auch nicht komplett umkehren. Dieser Zwickmühle können wir nur durch Transformation entkommen. Transformation und damit der Umschwung gelingt jedoch nur, wenn ein Unternehmen ein langes Gedächtnis hat. Wer sich allerdings auf kurzes Denken beschränkt und rein die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund stellt, wird scheitern.“
Im Dickicht eine Lichtung schlagen
Verloren gegangen sei vielfach die Wertschätzung für die Natur, das Individuum, für Sinn, Weisheit, Schönes und Wahres. „Wir sollten einen guten Grund haben, morgens aufzustehen“, sagt Jan Teunen. „Sich entwickeln bedeutet, zum Wesen einer Sache vorzudringen. Und zum Wesen des unternehmerischen Handelns gehört das Gestalten von Gesellschaft. Nicht egoistisch unterwegs zu sein, auf Kosten von Kunden und Mitarbeitern, sondern altruistische Schwerpunkte zu setzen, kann viel verändern. Wir müssen eine Lichtung ins Dickicht schlagen, statt überholte Systeme zu pflegen. Lichtungen sind die Voraussetzung für den gezielten Fortschritt.“
Technik schafft Freiraum
Wo das nicht der Fall sei, entstehe negativer Stress, unterstreicht der Experte. „Und dieser beeinflusst nachweislich das menschliche Gehirn. Die Folgen sind Burnout, Mobbing, Einsamkeit und Angst. Führungspersonen sollten deshalb die Qualität des Umfeldes steigern, um kreative, intuitive und motivierte Arbeit zu ermöglichen. Durch intelligente Technik lösen sich heute viele Probleme von selbst. Was für Menschen in Unternehmen an Arbeit bleibt, ist die gewollte Co-Kreation, und die kann nicht in von der wirtschaftlichen Rationalität dominierten Arbeitsräumen gelingen.“
Das geordnete Haus
Erschreckend: Nur 15 Prozent der Mitarbeitenden sind passioniert bei der Sache, wie eine Umfrage untermauert hat. „Der Rest macht Dienst nach Vorschrift oder hat innerlich bereits gekündigt.“ Jan Teunen verweist in diesem Zusammenhang auf die antike Ökonomie. „Deren Hauptprinzip war der verantwortungsvolle Umgang mit den Menschen. Unter dem Dach eines geordneten Hauses – das hier für Unternehmen steht – dominieren fünf Elemente: Wirtschaftlichkeit, Schutz, Zusammengehörigkeit, Kulturpflege und Identitätsfindung. Wenn eine Balance zwischen diesen Facetten besteht, ist die Unternehmenskultur gesund. In vielen Unternehmen brauchen die Wirkungselemente des geordneten Hauses eine Restaurierung.“
Klöster als Vorbild
Zum Glück gehe in der Wirtschaft inzwischen ein Umdenken vonstatten: Eine Umfrage des Spiegels unter 500 Vorständen habe ergeben, dass die Unternehmenskultur immer stärkere Gewichtung hat, erläutert Jan Teunen. Nachhaltigkeit beispielsweise gerate immer stärker in den Fokus. „An Klöstern können sich moderne Wirtschaftsbosse ein Beispiel nehmen“, rät Jan Teunen, „denn sie zählen zu den erfolgreichsten Unternehmen der Welt. Das liegt daran, dass die Mitglieder keinen schnöden Job machen, sondern eine Mission verfolgen. Nach jeder Kreation erfolgt dort eine Rekreation – also die Rückgewinnung verbrauchter Kräfte zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit. Der Körper wird heute gut gepflegt, zum Beispiel durch gesunde Ernährung. Doch Geist und Seele erfahren oft Vernachlässigung. Arbeit im Home-Office hilft ein wenig, Geborgenheit und persönliche Freiheit zu bewahren. Das ist auch innerhalb der Unternehmen wichtig. Denn die Seele braucht die Schönheit der Ideen und Konzepte, Prozesse und Beziehungen.“
Ausgehungerte Seelen
Er zitiert Plotin, einen Philosophen aus dem dritten Jahrhundert: „Das Auge hätte ja nie die Sonne gesehen, wenn es nicht von der Art der Sonne wäre, und die Seele kann das Schöne nicht sehen, wenn sie selber nicht schön geworden ist.“ Diese Worte sagten alles aus, meint er. „Wir könnten so vieles ändern, wenn unsere Seele nicht ausgehungert wäre. Unsere vordringlichste Aufgabe ist, die abgebrochene Verbindung zum Universum zu restaurieren, wie der ehemalige BASF-Chef Jürgen Strube einmal gesagt hat.“ Vor diesem Hintergrund gibt Teunen zu bedenken, dass Schönheit eine verantwortungsvolle Antwort auf die Krisen der Gegenwart ist. Sie wird die Welt schonend in die Zukunft führen.
Auf in eine gute Zukunft
Eine positive Unternehmenskultur lässt sich also durch ganzheitliches Denken und Handeln erzeugen. „Gute Führungskräfte handeln weise, bedenken die Wirkung, die ihre Entscheidungen auf die Mitarbeiter und auf nachfolgende Generationen hat. Sie trachten danach, niemals die Würde des Menschen zu verletzen, und agieren nicht zum Nachteil des Anderen.“ Unter diesen Voraussetzungen sieht er das Morgen strahlend. „Wenn wir den Sand aus dem Getriebe der Unternehmensmaschinerie entfernen und Betriebe stattdessen wie Gewächshäuser gestalten, können wir gut gelaunt auf die Welt zugehen.“ Jan Teunen hält es da ganz mit IKEA-Gründer Ingvar Kamprad: „Er hat einmal gesagt: Das meiste ist nicht getan – eine wunderbare Zukunft!“
Susanne Müller