»Planerische Vorgaben sind nicht in Beton zementiert«

Steffen Hofmann
Steffen Hofmann, geschäftsführender Gesellschafter von ambas Real Estate © ambas

Interview
Vision

Richard Haimann

E-Commerce-Anbieter haben in der Pandemie einen weiteren Wachstumsschub erhalten. Das bedeute aber nicht das Ende für den stationären Handel, sagt Steffen Hofmann, geschäftsführender Gesellschafter von ambas Real Estate. Um weiter bestehen zu können, müssen Einzelhändler jedoch die Vorzüge der Digitalisierung für sich nutzbar machen

 

Herr Hofmann, Sie haben Ihr Beratungsunternehmen iMallinvest jetzt in ambas Real Estate umbenannt. ambas steht dabei für Ambassador, den Botschafter und diplomatischen Verhandlungsführer. Sind nach zwei Jahren Pandemie und dadurch gestärktem E-Commerce nun Botschafter nötig, um für Einzelhandelsimmobilien noch Investoren gewinnen zu können?
Nein. Die Asset-Klasse ist für Investoren nach wie vor attraktiv. Aber heute stehen eben nicht mehr nur Malls im Fokus der Käufer, sondern auch Fachmarktzentren und Projektentwicklungen von Mixed-Use-Quartieren, in denen Menschen wohnen, arbeiten, einkaufen und ihre Freizeit verbringen. Der Handelsimmobilienmarkt ist in der zurückliegenden Dekade sehr viel facettenreicher geworden. Wir agieren als autorisierte Verhandlungsführer für unsere Kunden, sowohl auf der Erwerber- wie auf der Verkäuferseite, in allen Segmenten dieses Marktes. Das bringen wir mit der Änderung unseres Namens zum Ausdruck.

Mit den Lockdowns im ersten Jahr der Pandemie riefen etliche Marktbeobachter das Ende der Shopping Center und des Highstreet-Retails aus.
Corona hat den Strukturwandel im Einzelhandel beschleunigt. Die Veränderungen, die wir heute sehen, wären aber auch ohne die Pandemie eingetreten. Das Metathema dahinter ist die Digitalisierung. Diese betrifft viele Bereiche unserer Gesellschaft, nicht nur das Einkaufen. Sie bewirkt Veränderungen unserer Arbeitswelten, was zu neuen Konzepten für Büroimmobilien führt. Aber auch außerhalb der Immobilienwirtschaft wandeln sich die traditionellen Strukturen. Denken wir an die Medienlandschaft, das Bildungswesen, die Medizin oder die Automobilindustrie. Die Übertragung gewaltiger Datenmengen in quasi Lichtgeschwindigkeit prägt das Einkaufsverhalten der Konsumenten, die Konzeption von Produkten und deren Fertigung. Das schafft Herausforderungen und bietet Chancen für Innovation – und verändert natürlich auch den Einzelhandelsimmobilienmarkt.

Investoren sprechen jetzt von Placemaking – von der Schaffung neuer Marktplätze. Was ist darunter zu verstehen?
Dabei geht es um die Kunst, besondere Ort zu schaffen, die man gerne aufsucht und an denen man etwas erleben kann. Der Marktplatz war schon in der Antike das Zentrum der Städte. Nicht nur ein Ort, an dem Handel getrieben wird. Sondern auch ein Platz, an dem Menschen zusammenkommen, um sich zu treffen, zu speisen, zu feiern und Unterhaltung zu finden. Community entsteht. Dieses Urbedürfnis ist weiterhin vorhanden. Und die Aufgabe moderner Shopping Places ist es, dieses Verlangen zu erfüllen. Das gelingt mit einem Mix aus Geschäften, Gastronomie, Freizeitangeboten – von E-Sports bis zum Ernährungsberater im Health Club.

Die Idee dahinter ist, dass Verbraucher dann weniger Einkäufe im Internet tätigen?
E-Commerce-Anbieter haben während der Lockdowns in der Pandemie ihre Marktanteile deutlich ausgebaut. Die Wachstumsgeschwindigkeit der vergangenen beiden Jahre wird der Online-Handel jedoch nicht beibehalten können. Der stationäre Handel wird auch künftig aus mehr bestehen als nur aus Lebensmittelgeschäften und Baumärkten. Moderne Konsumenten fordern den Omnichannel-Zugriff auf Produkte und Dienstleistungen. Physische Shops erfahren eine Adjustierung ihrer Funktion, bleiben aber ein wichtiger Absatzkanal. Kunden können Waren beispielsweise vorab zur Ansicht über das Internet recherchieren oder sich ein im Geschäft spontan entdecktes Textil in der gewünschten Farbe aus dem Zen­trallager nach Hause liefern lassen.

Für kleinere Fachgeschäfte ist der Aufbau solcher Omnichannel-Lösungen jedoch häufig zu kosten- und personalintensiv.
Auch kleine Händler können vom Anschluss an Online-Plattformen profitieren und ihr Umsatzpotenzial steigern. Dazu müssen sie zunächst einmal im World Wide Web gefunden werden! Dabei können Einkaufs- und Stadtzentren erheblich unterstützen, indem sie Zugang zur digitalen Infrastruktur schaffen. Die Konsumenten können über ein solches Portal in Echtzeit die Warenbestände der einzelnen Geschäfte einsehen, Produkte bestellen und auch nach Ladenschluss noch Termine beim Friseur, im Kosmetikstudio oder für eine Beratung in einem Fachgeschäft buchen.

Das ist bislang noch Zukunftsmusik ...
Diese Zukunft ist aber schon sehr nahe. Denken Sie nur an den Gewinner des PropTech Innovation Awards der Union Investment Real Estate im vergangenen Jahr, das französische Unternehmen Wishibam. Die haben nicht nur die Software für solch einen digitalen Marktplatz für Einkaufszentren und Stadtteilzentren entwickelt. Sie haben ein ganzes digitales Ökosystem geschaffen, mit ergänzenden Tools für Logistik, Lagerverwaltung, Marketing und der Interaktion der einzelnen Geschäfte mit den Konsumenten.

Christoph Holzmann, Geschäftsführer der Union Investment Real Estate, spricht von einer »überzeugenden Technologie«, die sich der Immobilienfondsanbieter der Volks- und Raiffeisenbanken auch für seine eigenen Einzelhandelsflächen »näher ansehen wird«.
Derartige Konzepte sind gegenwärtig mancherorts in der Markttestphase. Union Investment zählt hier sicherlich zu den Vorreitern. Das müsste jedoch marktweit noch viel häufiger der Fall sein. Gerade in einer solch dynamischen Marktphase ist es unerlässlich, dass operative Teams mit innovativen Ideen experimentieren. Wer diesbezüglich nichts tut, wird definitiv an Relevanz verlieren!

In den USA und in der Schweiz stampfen Investoren urbane Mixed-Use-Quartiere aus dem Boden. Quasi Dörfer inmitten von Großstädten, in denen Menschen zugleich arbeiten, wohnen, einkaufen und ihre Freizeit verbringen. In Deutschland gibt es bislang kaum Beispiele dafür.
Die Idee solcher Lebenswelten wird in Deutschland auch gedacht. Es geht aber langsamer voran. Zahlreiche Fondsmanager sehen heutzutage für ihr Portfolio eine Zielallokation für Quartiere oder auch solitäre Mixed-Use-Immobilien vor. Sie beklagen derzeit noch unisono, dass es zu wenige geeignete Objekte gibt.

Liegt das auch daran, dass vielerorts Flächennutzungs- und Bebauungspläne eine strikte Trennung von Gewerbe- und Wohngebieten vorsehen?
Planerische Vorgaben sind nicht in Beton zementiert. Sie können geändert werden, wenn die Politik dies will. Aber gerade in Mixed-Use-Quartieren gibt es natürlich divergierende Interessen diverser Beteiligter, die in Einklang gebracht werden müssen. Dem Ruhebedürfnis der Bewohner zu nächtlicher Zeit stehen beispielsweise die Logistikanforderungen des Händlers gegenüber. Supermärkte müssen in den frühen Morgenstunden beliefert werden, um ihren Kunden, größtenteils die Bewohner der Quartiere, frische Produkte bieten zu können. Fachgeschäfte bekommen neue Waren tagsüber geliefert. Das sollte über Zufahrtswege geschehen, auf denen keine Kinder spielen.

In anderen Ländern sind diese Probleme gelöst.
Nicht flächendeckend. Wir können von den Erfahrungen im Ausland lernen und Konzepte entwickeln, die zu den Gegebenheiten in unseren Städten passen. Das passiert auch zunehmend. Es dauert nur ein wenig. Unserer Branche wurde in Aussicht gestellt, dass künftig die politische Willensbildung schneller vonstatten geht. Hoffen wir, dass es so kommt!

Es scheint auch eine Art Graswurzelbewegung kleiner stationärer Händler zu geben. Darunter sind zahlreiche Anbieter regionaler Waren und Fachgeschäfte mit ganz speziellen Sortimenten, die bei großen Anbietern nicht zu finden sind.
Diese Local Heros mit ihren kleinen Geschäften und ihrer hohen Servicequalität werden auf Dauer bestehen können. Sie sorgen für hohe Sympathiewerte in der Bevölkerung, haben Kultcharakter und eignen sich als strategisches Differenzierungsmerkmal. Sie bieten außergewöhnliche Produkte und Dienstleistungen, die es in dieser Form nirgendwo anders gibt. Auf ihre Weise ermöglichen sie Objekten ein individuelles Storytelling. Vermieter wissen natürlich, dass Local Heros besonders bedeutsam für die Kundentreue sind. Deshalb sind sie hier zu Zugeständnissen bei den Mietkonditionen bereit.


Das Interview führte
Richard Haimann,
freier Journalist