Pulsierender Markt

Susanne Klaußner MRICS
Susanne Klaußner MRICS © Tacwrk 2021

Interview
Tacheles

Susanne Müller

Handel ist Wandel: Dieser Slogan trifft auf einem Markt in Bewegung mehr denn je zu. Susanne Klaußner MRICS, Geschäftsführende Gesellschafterin bei DIR Deutsche Investment Retail GmbH, über Preisbildung und Deals, die wieder stattfinden.

Welche Deals haben jüngst die Marktentwicklung in der Handelsimmobilienbranche geprägt?

Generell dominiert eine Vielzahl von Einzeltransaktionen und kleinere Portfolio-Deals bis cirka 20 Millionen Euro, vorwiegend in lebensmittelgeankerte Nahversorgungs­standorte oder Stand-Alone-Objekte, das Transaktionsgeschehen. Dabei bewegt sich der Markt in Bezug auf die Transaktions-Volumina bei gerade einmal der Hälfte des Volumens der Vorjahre. In der Highstreet dominierte der Verkauf der Fünf Höfe mit einem Gesamtvolumen von rund 500 Millionen Euro den Transaktionsmarkt. Eine seltene Opportunität in einer außergewöhnlichen Lage mit entsprechend hohem Kaufpreisvolumen. Im Segment der Shopping Center gab es keine herausragenden Transaktionsmeldungen, sodass das Nahversorgungssegment dominiert und die Highstreet von einer herausragenden Transaktion in Bezug auf das Volumen hervorsticht. Auch im ersten Quartal 2024 setzte sich der Trend eines deutlich unterdurchschnittlichen Marktgeschehens fort. Sondereffekte wie die Übernahme der KaDeWe-Group durch die thailändische Central Group sollten hier unberücksichtigt bleiben. Sie würden das echte Marktgeschehen verfälschen. Langsam zeichnet sich jedoch ab, dass die Transaktionen wieder zunehmen und das Zinsniveau von Anlegern wie auch Asset Managern akzeptiert wird.
 
Stehen in diesem Jahr weitere große Transaktionen an?

Es ist zu erwarten, dass im Fachmarkt-Zentren- und Shopping-Center-Bereich größere Transaktionen auf den Markt gebracht werden, so zum Beispiel das Paunsdorf Center oder die Skyline-Plaza in Frankfurt am Main. Es wird interessant sein, zu verfolgen, wie sich diese Verkaufsprozesse entwickeln und ob die angestrebten Verkaufserlöse erzielt werden. Fakt ist, dass bei diversen Investorengruppen das Interesse an Investments zunimmt, insbesondere bei Family Offices und nichtregulierten Anlegern. Internationale Anleger interessieren sich mehr und mehr für den deutschen Markt, jedoch sind die Renditevorstellungen teilweise nicht realistisch. Wirklich signifikante Transaktionen werden wir hier erst wieder sehen, wenn der Anlagedruck weiter zunimmt, denn die Preise haben sich deutlich zurückentwickelt. Renditen deutlich über fünf Prozent sind im Nahversorgungssegment wieder erzielbar. Damit liegt man deutlich über Bundes- oder Staatsanleihen. Wirklich große Transaktionsvolumina wird man in diesem Jahr vermutlich nicht mehr sehen.
 
Man hört kaum noch von Neuentwicklungen und Verkäufen – sind die Branchenakteure verzagt?

Im Shopping-Center-Segment verfügt Deutschland über mehr als 500 Standorte, und daher stellt sich nicht die Frage, ob wir Neuentwicklungen überhaupt noch benötigen oder ob es in diesem Segment nicht eher darum geht, bestehende seit Jahrzehnten erfolgreich laufende Standorte weiterzuentwickeln und so zu modernisieren und zu konzipieren, dass sie auch zukünftig attraktive Shopping-Places darstellen. Umfangreiche Bestandsinvestments stehen im Fokus. Teilweise wird man auch zu dem Ergebnis kommen müssen, dass bislang erfolgreiche Handelsstandorte keine Zukunft haben und diese dann, wie auch so manchen Kaufhof, einer anderen Nutzung zuführen. Die Branchenakteure sind sicher nicht verzagt, aber sie müssen neue Konzepte entwickeln in einer Zeit, in der sich Trends enorm schnell wandeln, und der alte, manchmal abgedroschene Slogan „Handel ist Wandel“ trifft aktuell mehr denn je zu. Die Handelsimmobilienbranche ist kreativ genug, um nicht verzagen zu müssen. Im Nahversorgungssegment wird nach wie vor entwickelt und gebaut. Stärkster Treiber ist hier der Handel selbst, und es mangelt nicht an hochinteressanten und energetisch topoptimierten Konzepten. Von Verzagtheit kann hier keine Rede sein, im Gegenteil, Standortmodernisierungen, Refurbishments und Neuentwicklungen sind tragende Säulen der Expansion und bieten derzeit hochinteressante Investment-Opportunitäten.

Welches sind die Stellschrauben für eine erfolgreiche Entwicklung von Handelsimmobilien?

Zeitgemäße Konzepte in guter Handelslage bei verträglicher Konkurrenzsituation werden auch zukünftig Erfolg haben. Was bedeutet das genau? Nicht mehr jede Randlage in der Innenstadt oder der Fußgängerzone eignet sich für eine Einzelhandelsnutzung, und daher ist gerade in diesen Randlagen zu erwägen, die Flächen einer anderen Nutzung zuzuführen, zum Beispiel Dienstleistung, Gastronomie oder öffentliche Nutzung. Auch Servicebüros sind denkbar. In der Nahversorgung besteht am einen oder anderen Standort die Gefahr einer Überbelegung vor allem im Lebensmitteleinzelhandel. Es ist daher wohl abzuwägen, ob weitere Entwicklungsvorhaben am Ende eher dazu führen, dass alle Marktteilnehmer Umsatzeinbußen zu verzeichnen haben und letztlich keiner glücklich ist. Überbelegungen sind daher wenig hilfreich. In den absoluten Toplagen der Top Sechs wird es maßgeblich darauf ankommen, Trends aufzunehmen und eine gesunde Mischung aus etablierten und traditionellen Anbietern im Verbund mit neuen Fashion-Labels anzubieten bei einer besseren Aufenthaltsqualität. Einkauf ist nicht mehr der alleinige Grund, um die Innenstadt aufzusuchen. Die Verweilqualität mit einem breiten gastronomischen Angebot und Plätzen mit besonderem Ambiente werden zukünftig den Grund liefern, um samstags oder abends in die Stadt zu gehen, anstatt sich in der freien Natur aufzuhalten. Die Stellschrauben für eine erfolgreiche Entwicklung von Handelsimmobilien liegen auch genau hier und in den Fragen „Wen will ich ansprechen?“, „Wer ist meine Zielgruppe?“ und „Finde ich meine Zielgruppe dort, wo ich neu in den Markt eintreten will?“. Keine Frage, dass es zunehmend schwieriger wird, echte USPs herauszustellen.

Was sollte die Retail-Branche beherzigen, um nicht im Einheitsbrei unterzugehen?

Zielgruppenspezifische Konzepte für die unterschiedlichen Kundengruppen in unterschiedlichen Lagen. Das bedeutet zum Beispiel, dass es sicherlich ein sehr gelungener Schachzug der REWE war, den ersten veganen Supermarkt mit neuem grünem Logo in Friedrichshain zu eröffnen, denn dort trifft das Angebot genau auf die passende Klientel, Menschen, die sich sehr bewusst ernähren. Der gleiche Supermarkt würde an anderer Stelle möglicherweise nicht angenommen werden. Wer die Kundenbedürfnisse trifft, wird im Handel auch weiterhin erfolgreich tätig sein. Dabei steht Individualität im Mittelpunkt. Wir alle haben doch längst die Städte satt, in denen immer derselbe Player neben demselben Player mit dem typischen und einheitlichen Konzept betrieben wird. Am Ende ist es dann egal, ob ich in Köln, Nürnberg oder München einkaufe beziehungsweise flaniere. Flanieren ist inzwischen nicht mehr so hip, wie das früher der Fall war. Die Innenstädte sind dennoch gut gefüllt, und ein wirklich hipper Shop mit tollem Angebot, der den Zeitgeist trifft, wird funktionieren. Dabei ist es aus meiner Sicht wichtig, Shop-Konzepte individueller auf einzelne Standorte abzustimmen. Das muss nicht teuer sein. Globetrotter hat dies kürzlich mit dem aktuellen Ladenkonzept bewiesen, indem die Ladenausstattung des Vornutzers attraktiv in Szene gesetzt und im Sinne der Nachhaltigkeit weiterverwendet wurde. Das kommt in Kombination mit dem passenden Marketing und natürlich dem Sortiment beim Kunden gut an und dann werden solche Läden auch gut angenommen.

Wie gestaltet sich derzeit die Preisbildung auf dem Markt?

Da in den letzten Jahren kaum Shopping Center am Markt angeboten wurden, kann man hier kaum von einer Preisbildung sprechen. Bei Highstreet-Immobilien kommt es mehr denn je auf den Standort und vor allem die Mikrolage an. Dabei ist die Frequenz nicht mehr allentscheidend. Alle Lagen kämpfen mit steigenden Renditen, und selbst die Renditen in den Top-Sieben-Städten sind von 3,25 auf fast fünf Prozent gestiegen. Wir befinden uns in einer beginnenden Seitwärtsbewegung und gehen daher im Moment von stabilen Renditen zwischen fünf Prozent in der Highstreet und sechs bis sieben Prozent bei Shopping Centern aus. Lebensmittelgeankerte Standorte liegen bestenfalls bei fünf Prozent und Retail-Parks etwas darüber. Die Zeiten, in denen Multiplikatoren im mittleren bis gehobenen 20er-Bereich bezahlt wurden, sind definitiv vorbei und werden so schnell auch nicht wiederkommen, weil dies die Zinsentwicklung nicht zulässt. Wir gehen davon aus, dass die Marktpreise zunächst stabil bleiben, ehe sie dann in zwei bis drei Jahren wieder beginnen, leicht anzusteigen. Dies ist abhängig von der weiteren Zinsentwicklung und der gesamtökonomischen Entwicklung, und insofern ist diese Prognose mit vielen Unwägbarkeiten verbunden.
 
Welche Assetklassen sind on top – und warum dominiert immer noch der LEH?

Der Lebensmitteleinzelhandel wird auch weiterhin den Transaktionsmarkt dominieren, weil Lebensmitteleinzelhandelsimmobilien sichere Investments in die Grundversorgung sind, ohne die wir nicht leben können, und weil sie während der Corona-Pandemie ihre Resilienz unter Beweis gestellt haben. Gleiches gilt für systemrelevante Dienstleister, wie Optiker, Hörgeräteakustiker oder Apotheken als Nebenmieter. Zwar ist es auch in diesen Segmenten zu Marktbereinigungen gekommen, aber gute Konzepte werden immer ihre Berechtigung haben. Die Lebensmittler sind innovativer denn je, und sofern behördliche Restriktionen sie nicht stoppen, werden wir Lebensmittel in der Zukunft 24/7 einkaufen können. Moderne Ladenkonzepte, eine zunehmende Aufenthaltsqualität und eine nachhaltige Bauweise mit wiederverwertbaren Materialien werden dafür sorgen, dass diese Immobilien bei Anlegern nachhaltig beliebt und begehrt sind. Dafür sorgen auch zukünftig stabile Cashflows aus langlaufenden Mietverträgen.

Shopping Center werden oft totgesagt – ist das berechtigt?

Generell sollte man mit derart pauschalen Aussagen sehr vorsichtig sein, denn am Ende entscheiden immer das Konzept, die Lage und das Management. Zeitgemäße Shopping Center und Einkaufspassagen an den richtigen Standorten werden auch zukünftig als attraktive Shopping Places ihren festen Platz in den Städten haben. Sie müssen aber mehr denn je auf die Kunden in den spezifischen Lagen zugeschnitten und offen sein für neue Konzepte. Veränderungen des Mietermix und die Nutzung als Veranstaltungsort erhalten die Standortattraktivität. Dabei sind der Kreativität grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Wir müssen allerdings auch akzeptieren, dass nicht alle Shopping-Center auf Dauer überleben werden. Offenheit für Neues und das Management werden die entscheidenden Kriterien sein, und dort, wo das Gesamtkonzept nicht stimmig und das Management nicht kreativ ist, werden Standorte anderen Nutzungen zugeführt werden müssen. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir auch in Zukunft in Shopping Centern einkaufen werden, Dienstleistungen in Anspruch nehmen können und uns bei Kaffee und Kuchen oder etwas zeitgemäßer bei einer Bowl treffen, denn Menschen wollen Menschen treffen, sehen und gesehen werden. In unserer digitalen Welt steigt dieses Bedürfnis wieder.

Susanne Müller