Quo vadis Einzelhandel?

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Restart
Joachim Stumpf
Die makroökonomischen Bedingungen für den stationären Einzelhandel sind weiterhin verhalten: Im Jahr 2024 sank das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent und fiel damit verhaltener aus, als im Jahresverlauf noch prognostiziert worden war. Auch für die kommenden Jahre ist kein deutliches Wiedererstarken des Wachstums in Sicht. Vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist durch strukturelle Probleme und hohe Energiepreise geprägt. Positiv ins Gewicht fallen hingegen ein robuster Arbeitsmarkt und eine rückläufige Inflation, die sich dem EZB-Ziel von zwei Prozent annähert.
Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung des Einzelhandels bleibt die politische Unsicherheit. Viele Marktakteure setzen darauf, dass eine handlungsfähige Zweiparteienkoalition nach der Bundestagswahl 2025 wirtschaftspolitische Impulse bringt, die Investitionen erleichtern und eine planbarere Zukunft ermöglichen. Insbesondere die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen, gezielte Investitionsförderungen und klare Regelungen zur Stadtentwicklung könnten dazu beitragen, die Transformation des Handels zu erleichtern. Gleichzeitig wäre eine stärkere politische Unterstützung für Innenstädte und Handelsstandorte notwendig, um den Strukturwandel aktiv zu gestalten. Städte wie Nürnberg zeigen mit ihrer „Innenstadt-Stabsstelle“, wie eine koordinierte Transformation auf kommunaler Ebene gelingen kann – das sollte Vorbildcharakter bekommen.
Umsatzentwicklung: Handel stabil
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen erzielte der Handel im Jahr 2024 einen Umsatz von knapp 660 Milliarden Euro. Bis 2028 wird ein Anstieg auf etwa 700 Milliarden Euro prognostiziert – ein moderates Wachstum, das vor allem durch den anhaltenden Anstieg des Online-Handels getragen wird. Während die Marktanteile des stationären Handels in bestimmten Branchen weiter sinken, bleiben andere Segmente stabil oder wachsen sogar. Die eingangs erwähnte Polarisierung zeigt sich jedoch sowohl auf Branchen- als auch auf Standortebene.
Im Hinblick auf Standortwirkungen ist der fundamentale Unterschied zwischen dem Food- und Nonfood-Sektor hervorzuheben: Die Fast Moving Consumer Goods (FMCG), zu denen der Drogerie- und Lebensmittelbereich zählt, bleiben trotz steigenden Online-Anteilen ein Frequenzbringer und Anker stationärer Stabilität, da der stationäre Umsatzanteil auch in der Prognose bis 2028 bei 84 Prozent liegt. Dies führt dazu, dass FMCG-Händler verstärkt in die Expansion investieren und neue Formate vor allem in Verdichtungsräumen entwickeln. Damit bleibt die Nahversorgung auch als Assetklasse hochattraktiv.
Die Leitbranche von Innenstädten und Shopping Centern ist traditionell der Fashionhandel. Daher ist die Standortwirkung der Umsatz- und Flächenrückgänge im stationären Mode- und Schuhhandel besonders hoch. Der Online-Anteil dieser Branche wird bis 2028 auf 49 Prozent steigen, wodurch viele Innenstadtlagen und Shopping Center zunehmend Schwierigkeiten haben, Nachmieter für frei werdende Flächen zu finden.
Auf der Ebene der Betriebsformen wirkt sich der Verlust von tausenden mittelständischen Handelsunternehmen vor allem auf die kleinen und mittleren Stadtgrößen aus. Speziell der Verlust der Warenhäuser, der vom Ballungsraum bis hin in mittelgroße Städte reicht, verursacht schon allein aufgrund der Objektgrößen vor allem dort empfindliche Leerstände. Unseren Einschätzungen zufolge werden in den nächsten Jahren rund zehn Millionen Quadratmeter Nonfood-Handelsfläche vom Markt verschwinden.
Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl an neuen Konzepten mit starker Expansion aus verschiedenen Kategorien. Dazu zählen Auto- und Konsumgüterhersteller sowie Vereine mit eigenen Läden oder traditionell großformatige Anbieter wie IKEA oder Decathlon, die mit neuen kleineren Formaten in innerstädtische Standorte oder Shopping Center ziehen. Aber auch internationale Textilanbieter wie TK Maxx oder die Inditex Gruppe und Pure-Player online eröffnen weiter stationäre Standorte. Gleiches gilt für Luxusanbieter wie auch Nonfood-Discountanbieter. Es kann also ein Teil der wegfallenden Handelsflächen substituiert werden, allerdings erstens nicht vollumfänglich und zweitens nicht an allen Standorten gleichmäßig. Die meisten Standortsuchprofile konzentrieren sich auf die großen Städte, oft sogar nur auf die Ballungsräume.
Nicht alle Städte gleichermaßen betroffen
Besonders in gut gelegenen Handelsflächen in Metropolen und wirtschaftlich starken Regionen bleibt die Nachfrage stabil. Klein- und Mittelstädte hingegen geraten zunehmend unter Druck. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede innerhalb dieser Gruppe. Mittelstädte mit hoher Kaufkraft, starkem Tourismus oder renommierten Bildungseinrichtungen wie etwa Rosenheim können sich oft behaupten und profitieren von stabilen Mieten. Städte ohne diese Faktoren haben es schwerer, Leerstände zu füllen und die Attraktivität ihrer Handelsflächen zu erhalten. Die Innenstädte und Shopping Center von Ballungsräumen bleiben weiterhin attraktive Handelsstandorte, während Randlagen und weniger profilierte Shopping Center zunehmend an Bedeutung verlieren.
Diese Polarisierung zeigt sich auch in der Mietpreisentwicklung. Im Durchschnitt sind die Mieten in 1A-Lagen in A-, B-, C- und D-Städten von 2019 bis 2024 um 14 Prozent gesunken. Allerdings können die besten Mikrolagen ihre Preise halten oder sogar steigern, während in schwächeren Lagen Rückgänge von 30 bis 40 Prozent zu beobachten sind. Dadurch verkürzen sich die Top-Lagen: Einkaufsbereiche konzentrieren sich zunehmend auf hochfrequentierte Zonen, während Randbereiche an Attraktivität verlieren und teilweise nicht mehr für den Handel genutzt werden.
Dort, wo die Handelsnutzungen nicht durch neue Händler oder die Gastronomie ersetzt werden können, bleibt nur die Substitution durch andere Nutzungen wie Wohnen, Gesundheit, Hotel, Büro, Bildung oder Freizeit, wofür es allerdings kein Patentrezept gibt. Grundsätzlich gilt aber auch hier: Je bedeutender und resilienter ein Standort ist, umso vielfältiger sind die Nachnutzungsmöglichkeiten. Gerade für Shopping Center und Warenhausstandorte ist eine sorgfältige Analyse der Machbarkeiten für eine Neupositionierung notwendig. Die Möglichkeiten sind enorm vielfältig. So hat in Sankt Augustin (Metropolregion Köln-Bonn) die IPH Gruppe ein Konzept für das erste hybride Outlet-Center in Deutschland entwickelt oder im Gerber in Stuttgart Retailfläche unter anderem durch Hotel und Co-Working ersetzt.
Investments: Chancen für Family Offices
Den Investmentmarkt erreichte die Polarisierung verzögert, beziehungsweise wurde sie lange Zeit vom Nullzinsniveau überlagert. Erst der Doppelschock aus Pandemie und Zinsrückkehr hat sie freigelegt. Dies zeigt sich besonders gut in der Entwicklung der Spitzenrenditen. Sie verliefen bis Ende der 2010er Jahre weitgehend parallel, obwohl sich die jeweiligen Vermietungsmärkte längst höchst unterschiedlich entwickelt hatten. Nur die Investoren von Shopping Centern haben schon früher eine neue Risikobewertung erlebt. Ab 2020 wichen die Pfade dann drastisch voneinander ab, und die Polarisierung, die sich an den Vermietungsmärkten zuvor schleichend vollzogen hatte, spielte sich am Investmentmarkt in einem viel höheren Tempo ab.
Heute zeigt sich ein auf allen Ebenen ausgesprochen fragmentierter Handelsimmobilienmarkt, sowohl auf der Vermietungs- als auch auf der Investmentseite. Ausdruck dessen ist zum Beispiel das Phänomen, dass es kaum noch Immobilieninvestoren gibt, die formatübergreifend in Objekte investieren. Zu unterschiedlich scheinen die Rahmenbedingungen der einzelnen Segmente und mit ihnen die Risikoprofile zu sein. Insgesamt wurden 2024 Immobilien im Wert von rund 5,4 Milliarden Euro gehandelt. Das entspricht einer Steigerung von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr, ist aber im Vergleich zu den Jahren vor der COVID-19-Pandemie ein insgesamt moderates Ergebnis, geprägt durch große Einzeltransaktionen wie das KaDeWe, die Fünf Höfe oder die Pasing Arcaden.
Die Renditen (Nettoanfangsrenditen, Spitze) bewegen sich je nach Objektkategorie zwischen 4,3 Prozent bei den als sicher geltenden Geschäftshäusern und 5,8 Prozent bei den teils repositionierungsbedürftigen Shopping Centern. Im Mittelfeld rangieren Supermärkte und Fachmarktzentren mit 4,8 und 5,1 Prozent. Bewegung gab es bei den Renditen im Vergleich zum Vorjahr kaum.
Während sich institutionelle Investoren weitgehend aus dem Segment der Shopping Center und Warenhäuser zurückgezogen haben und noch abwarten, bleiben Family Offices und private Investoren im Bereich der Geschäftshäuser aktiv. In vielen Fällen übernehmen nun spezialisierte Investoren gezielt Einzelobjekte, um sie mit passgenauen Konzepten neu aufzustellen. Besonders stark zeigt sich die Polarisierung im Shopping-Center-Segment: Während gut etablierte Top-Standorte weiterhin gefragt sind, aber rendite- beziehungsweise risikomäßig unter der Gesamtwahrnehmung der Assetklasse leiden, stehen rund 40 Prozent der Center unter einem hohen Repositionierungsdruck. Bei diesen Objekten fehlen langfristige Mietkonzepte, was Investoren zunehmend zurückhaltend macht. Gleichzeitig haben gerade diese Objekte enormes Potenzial für die Entwicklung hin zu Mixed-Use-Standorten. Für Eigentümer mit entsprechenden Kapitalreserven oder risikoaffine Investoren bietet es sich daher an, tätig zu werden und entsprechende Objekte auf Basis zeitgemäßer Mixed-Use-Konzepten zukunftsstark neu aufzustellen.
Ausblick 2025: Kommt die Bodenbildung?
Eine der zentralen Fragen für 2025 bleibt, wie schnell der Markt eine Bodenbildung erleben wird. Erste Anzeichen in Form verstärkter Nachfrage risikoaffiner Investoren sind vorhanden, sie ist aber noch nicht erreicht. Wenigstens die Zinsen und die Baukosten haben sich stabilisiert, sodass Investoren wieder mit kalkulierbaren Rahmenbedingungen arbeiten können. Besonders für entwicklungsfähige Warenhäuser und Shopping Center könnten sich neue Chancen ergeben, sofern sich die Preisbildung für den Objekteinstieg gefunden hat.
Für den Handel selbst kommt es stark auf die Konsumstimmung an, die vor allem durch ein Signal schneller und klarer Handlungsfähigkeit der neuen Regierung stimuliert werden könnte. Erfolgreiche Händler setzen verstärkt auf Erlebniswelten und verzahnen Online- und Offline-Kanäle enger als je zuvor. Wer frühzeitig in neue Konzepte investiert und seine Standorte an die veränderten Marktbedingungen anpasst, wird langfristig zu den Gewinnern gehören. Die Transformation des Handels ist unausweichlich – doch sie birgt auch neue Chancen für Handelsunternehmen und Handelsimmobilieninvestoren, die bereit sind, den Wandel aktiv mitzugestalten.
Ein Gastbeitrag von
Joachim Stumpf,
Geschäftsführer
IPH Handelsimmobilien und BBE Holding