Quo vadis Shopping Center?

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Das PEP Einkaufs-Center in München-Neuperlach. © BBE Handelsberatung

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Diskurs

Susanne Müller

Ehemals Darling der Investoren, gelten viele Shopping Center mittlerweile als graue Eminenzen. Eine Mehrzahl der gut 500 deutschen Konsumtempel bedarf einer Repositionierung – insbesondere jene, die ihren Schwerpunkt auf den Modeeinzelhandel gelegt haben. BBE Handelsberatung, IPH Gruppe und Savills haben in einer aktuellen Studie Gegenwart und Zukunft der Assetklasse ausgeleuchtet.

Vor 60 Jahren eröffnete das Main-Taunus-Zentrum in Frankfurt – mehr dazu auf den folgenden Seiten dieses Magazins. Damals war das Grand Opening Auftakt zum Siegeszug der Assetklasse Shopping Center. Lange segelten die Malls im Sonnenschein, mussten sich zuletzt jedoch unter dunklen Wolken ducken. Fakt ist: Erstmals seit ihrem Bestehen ist die Zahl der Center in Deutschland zurückgegangen. Corona hat Spuren hinterlassen – doch das eigentliche Problem ist struktureller Art. Der Einzelhandel lässt Federn, allen voran die Textiler. Das zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Insolvenzen der vergangenen Jahre, darunter von großen Marken wie Gerry Weber, Hallhuber und P&C. Zumal der Lebensmitteleinzelhandel, der bekanntlich einen deutlichen Umsatzzuwachs aufweist, in den meisten Shopping Centern nur eine untergeordnete Rolle spielt. Da sich daran aufgrund der Lage und Größe vieler Center auch nur bedingt etwas ändern lässt, ist hier ein Nach-, bisweilen sogar ein Umdenken gefordert. Zwei Drittel aller in einer PwC-Erhebung befragten Center-Betreiber halten das klassische, einzelhandelsdominierte Nutzungskonzept laut Studie für nicht zukunftsfähig.

Boomphase ist vorbei

„Es ist noch nicht so lange her, da waren Shopping Center so etwas wie die Lieblinge risikoaverser Investoren und eine Art Goldstandard für Core-Immobilien“, so Timm Jehne, Head of Real Estate Consulting bei BBE Handelsberatung. „Sie boten einen für Gewerbeimmobilien außergewöhnlich diversifizierten und dank sehr langer Mietvertragslaufzeiten scheinbar verlässlichen Ertrag, dazu eine hohe Liquidität am Investmentmarkt. Diese Sicht prägte die Jahre nach der weltweiten Finanzkrise und gipfelte im Jahr 2015, vielleicht ein wenig später. Mehr als jeder zehnte Euro am Gewerbeimmobilieninvestmentmarkt floss seinerzeit in Shopping Center, und mit einer Spitzenrendite von um die vier Prozent zählten sie damals zu den teuersten Immobilien am Markt. Diese Boomphase ist heute vorbei. Shopping Center weisen die mit Abstand höchsten Anfangsrenditen aller für institutionelle Investoren relevanten Nutzungen auf, und ihr Anteil am gesamten Transaktionsvolumen liegt seit Jahren im niedrigen einstelligen Prozentbereich.“

Center an der Weggabelung

Die anfängliche Euphorie ist längst in Ernüchterung umgeschlagen. „In der Rückschau ist für jeden offensichtlich, dass Shopping Center damals angesichts des längst sichtbaren Siegeszugs des Onlinehandels von vielen Investoren etwas zu unkritisch gesehen wurden. Heute muss dagegen niemand mehr auf die Risiken hingewiesen werden. Viele Investoren machen schlicht einen weiten Bogen um die Assetklasse“, so Timm Jehne. Alle Center würden undifferenziert in einen Topf geworfen, sagt auch Lars Jähnichen, Geschäftsführer der IPH Gruppe. Das wird der zunehmenden Heterogenität der Center-Landschaft aber immer weniger gerecht. „Um Shopping Center muss man sich kümmern: Sie benötigen eine eindeutige Positionierung und darauf aufbauend den passenden Mietermix, ein Design, das die Zielkunden anspricht, und die richtige Marktkommunikation. Hierfür sind immer wieder Investitionen notwendig. So aufgestellt, erwirtschaften solche Anlageobjekte seit vielen Jahren stabile Erträge. Anders sieht es bei Shopping Centern aus, die in einem zunehmend schwierigen Marktumfeld stehen geblieben sind. Etliche dieser Objekte stehen heute am Scheideweg zwischen umfassendem Refurbishment oder einer standortgerechten Umnutzung. Dazwischen liegen jene Center, die sich an einer Weggabelung in eine der beiden Richtungen befinden.“

Erkenntnisse zum Leerstand

Um einschätzen zu können, wie zukunftsfähig die einzelnen Center als klassisches Einkaufszentrum sind, haben die Studienautoren jedes Objekt anhand von drei Indikatoren bewertet: aktueller Leerstand, Bevölkerungsprognose im Einzugsgebiet und Branchenmix beziehungsweise dessen Resilienz gegenüber dem Strukturwandel im Einzelhandel. In der Summe kamen dabei wertvolle Erkenntnisse heraus. Für 347 Shopping-Center wurde der Leerstand auf Basis verschiedener Quellen ermittelt. Demnach stehen im Durchschnitt 11,8 Prozent der Einzelhandelsfläche in den Centern leer. Zum Vergleich: Auf dem Bürosektor beträgt der Anteil leerer Flächen bundesweit etwa fünf Prozent, und der Wohnungsleerstand liegt sogar nur bei etwa zwei Prozent. Immerhin weist laut Studie mehr als die Hälfte aller Shopping Center einen Leerstand von unter zehn Prozent auf, in fast einem Fünftel der Fälle liegt die Leerstandsrate allerdings jenseits von 20 Prozent.

Abhängig vom Einzugsgebiet

Wie sich der Leerstand eines Centers künftig entwickeln wird, hängt laut Studie zum Teil auch davon ab, wie sich die Zahl der potenziellen Kunden in seinem Einzugsgebiet verändert. In diesem Punkt unterscheiden sich die Center zum Teil ebenfalls deutlich voneinander. Für gut ein Drittel ist die Prognose günstig, das heißt, die Zahl der Menschen im Einzugsgebiet – also im 30-Minuten-Fahrzeit-Radius – wird bis 2035 um mindestens zwei Prozent steigen. Etwa ebenso viele Center werden voraussichtlich mit einem Bevölkerungsrückgang von wenigstens zwei Prozent konfrontiert sein, und in knapp einem Viertel der Fälle wird sich die Zahl der im Einzugsgebiet lebenden Menschen nicht wesentlich verändern (+/- zwei Prozent). Ein Bevölkerungsrückgang im Einzugsgebiet eines Centers könnte theoretisch durch eine steigende Kaufkraft der verbleibenden Menschen ausgeglichen werden – und umgekehrt. Da die demografische und ökonomische Entwicklung einer Region jedoch häufig Hand in Hand gehen, dürfte die Spreizung des Kaufkraftpotenzials der Center vermutlich sogar noch größer ausfallen, als es die Bevölkerungsprognose nahelegt.

Umdenken beim Mietermix

Anders als bei heterogenen Verhältnissen in punkto Leerstand und der Bevölkerungsprognose, sind sich Shopping Center im Branchenmix recht ähnlich. In den meisten Malls besetzen jene Branchen einen großen Flächenanteil, die in den letzten Jahren im stationären Geschäft rückläufige Umsätze zu verzeichnen hatten, darunter der Mode- und Elek­tro­einzelhandel. Dies bedeutet laut Studie jedoch nicht zwangsläufig, dass jeder Händler aus diesen Branchen nachteilig ist – indes erweist sich das Segment als insgesamt weniger resilient gegen den Online-Handel. In lediglich sieben Prozent aller Center stellen diese Läden weniger als ein Viertel aller Geschäfte dar. Am anderen Ende des Spektrums befindet sich jenes Drittel der Center, bei denen die Segmente mit rückläufigen Umsätzen mehr als die Hälfte der Geschäfte belegen – ein Risikofaktor für den Fortbestand. Die verbleibenden knapp zwei Drittel weisen einen mäßig resilienten Branchenmix auf, bei dem der Anteil der vulnerablen Segmente zwischen 25 und 50 Prozent liegt.

Von Cashcows bis Reimagine

Um noch weiter zu differenzieren,  haben die Experten drei Cluster plakativ mit „Cashcows“, „Watchlist“ und „Reimagine“ betitelt. Zu den Cashcows zählen sämtliche Center, die einen niedrigen Leerstand bei günstiger Bevölkerungsprognose aufweisen, sowie jene Objekte mit niedrigem Leerstand, stabiler Bevölkerung und resilientem Branchenmix. Diese Bedingungen erfüllt ein Viertel aller Center. Kurz gesagt, sie befinden sich in einer starken Position mit überwiegend günstiger Perspektive.  Ein gänzlich anderer Typ von Investor ist für jene Center im Cluster „Reimagine“ – in Anlehnung ans europäische Programm „RE:IMAGINING Retail“, in dem Savills gemeinsam mit mehreren Partnern bereits seit vielen Jahren die Repositionierungs- und Umwidmungsoptionen für nicht mehr funktionierende Einzelhandelsobjekte auslotet. Denn vor genau dieser Herausforderung stehen auch die Center in diesem Cluster: Sie weisen bereits heute eine Leerstandsrate von mindestens zehn Prozent auf, und in den meisten Fällen dürfte sich der Leerstand aufgrund ungünstiger Bevölkerungsprognose und/oder eines wenig resilienten Branchenmixes perspektivisch noch erhöhen. Im Kern dürfte es für diese Center um eine von zwei Handlungsoptionen gehen: Repositionierung oder Umwidmung, beispielsweise unter Einbeziehung von Arztpraxen, Coworking-Spaces und Fitnessstudio. „Bei diesen Centern – immerhin 40 Prozent der analysierten Objekte – besteht akuter Handlungsbedarf, da ohne das Ergreifen geeigneter Maßnahmen diese Objekte in einen klaren Trading-Down-Prozess geraten können“, folgert Timm Jehne.

Shopping Center neu erfinden

Weit weniger akut ist der Handlungsbedarf für die Center im Watchlist-Cluster, das gut ein Drittel der untersuchten Shopping Center ausmacht. Alle diese Objekte weisen aktuell einen vergleichsweise niedrigen Leerstand um zehn Prozent auf, der allerdings entweder aufgrund schrumpfender Bevölkerung im Einzugsgebiet oder wegen eines ungünstigen Branchenmixes zu steigen droht – bei den meisten Centern ist sogar beides der Fall. „Insofern ist es ratsam, die Entwicklung dieser Center aufmerksam zu beobachten, um einem steigenden Leerstand rechtzeitig entgegenwirken zu können. Handlungsbedarf kann aber auch schon bei niedrigeren Leerstandsraten beziehungsweise dem Status quo bestehen. Welche konkreten Maßnahmen geeignet sind, um ein Center dieses Clusters zu stabilisieren, kann erst eine tief gehende Analyse des einzelnen Objekts und seiner Rahmenbedingungen zutage fördern“, betont Lars Jähnichen. „Klar ist im Vorfeld nur, dass manche dieser Center früher oder später zu Reimagine-Kandidaten werden. Das gilt vor allem für jene Objekte mit stark schrumpfender Bevölkerung im Einzugsgebiet. Andere Center dieses Clusters werden sich mit den richtigen Maßnahmen wiederum zu Cashcows transformieren lassen.“

Differenzieren statt pauschalisieren

Während das Main-Taunus-Zentrum sein 60-jähriges Bestehen feiert, wird mit dem Westfield Hamburg-Überseequartier bald ein anderes Shopping Center eröffnet. „Es dürfte eines der letzten seiner Art sein, zumal in dieser Dimension“, ziehen die Studienautoren Bilanz. „Die deutsche Shopping-Center-Landschaft ist längst kein Wachstumssektor mehr, sondern ein gesättigter Markt. Und in einem solchen Umfeld werden viele Center den Tag ihres 60-jährigen Jubiläums nicht feiern können. Diese Erkenntnis ist nicht neu, ausgesprochen wird sie dennoch selten. Falsch wäre es aber eben auch, den Abgesang auf die ganze Branche anzustimmen. In einem gesättigten Markt trennt sich lediglich die Spreu vom Weizen, und gerade das erfordert einen differenzierten Blick, kein pauschales Urteil.“

Susanne Müller