Renaissance der Markthallen

Arminiusmarkthalle
Gefragte Eventlocation: die Arminiusmarkthalle in Berlin. © Die Zunft AG

Handel und Immobilien
Restart

Susanne Müller

In Krisenzeiten bedarf der Handel einfallsreicher Konzepte, um sich zu behaupten. Hybride Geschäftsmodelle sind auf dem Vormarsch – so wie die Arminiusmarkthalle in Berlin. „Gute Orte zu guten Kondi­tionen sind heute gefragt“, sagt Christoph Hinderfeld, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Die Zunft AG, einem Kompetenznetzwerk für die Rückbesinnung auf faire Handelsansätze und Qualität.

Die Arminiusmarkthalle im Berliner Stadtteil Moabit ist ein solcher Schauplatz. Eröffnet anno 1891, ist das historische Schätzen, das allein schon durch seine Deckenhöhe von 15 Metern beeindruckt, längst revitalisiert worden und überzeugt heute mit einem originellen Konzept. Nostalgie und Tradition treffen auf junge Ideen, die im Kiez kreative Akzente setzen. Neben 32 hochwertig bestückten Marktständen laden Cafés und Bars zum Verweilen ein. Köche bereiten frische Speisen zum Sofortgenuss oder zum Mitnehmen zu – beliebt ist vor allem der Business-Lunch. Pop-up-Stände bringen Abwechslung ins Geschehen. Tanz und bildende Kunst schaffen pulsierende Momente. Auch ein Bürgerbüro ist integriert.

Eventlocation par excellence

Doch nicht nur die Nachbarn im Kiez profitieren vom vielfältigen Angebot. Denn die Arminiusmarkthalle, eine der fünf schönsten ihrer Art in Europa, glänzt vor allem als charismatische Eventlocation. Von der Architektur her an eine Kathedrale anmutend, überzeugt ein ausgefallenes Berlin-Babylon-Setting mit dem Flair der 20er Jahre, gepaart mit dem urbanen Berlin von heute, auch internationale Besucher. Die Speisen-Auswahl kann sich sehen lassen. Tarte flambée aus dem gemauerten Flammkuchenofen, peruanische Ceviche, The Poutine als kanadisches Nationalgericht, Alabama-Cuisine, Burger-Kreationen, alpenländische Spezialitäten, Meeresfrüchte und Fischküche, hausgemachte Gerichte aus Süditalien, moderne Balkan-Tapas, Sushi oder auch vegetarische und vegane Gerichte, begleitet von edlen Tröpfchen oder Bierspezialitäten – gute Küche ist das A & O.

Kleinteilige Nutzungen ziehen

Warum funktioniert das Konzept der Arminiusmarkthalle so gut? „Faire Mieten und gut ausgesuchte Mieter mit kleinteiligen Nutzungen bürgen für Erfolg. Wenn einmal ein Mieter ausfällt, stehen meist schon drei bis vier neue Interessenten in den Startlöchern“, so Christoph Hinderfeld. „Außerdem veranstalten wir zahlreiche Events, zum Beispiel im April die 21. Lange Nacht der Weine. Winzerinnen und Winzer aus ganz Deutschland kredenzen dann eine abwechslungsreiche Auswahl ihrer besten Weine.“

Bedürfnis nach Verweilqualität

Überdachte Markthallen erfahren nicht nur hierzulande eine Renaissance. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit galten sie als Börse für den Lebensmitteleinkauf und Begegnungsstätte. Handwerks- und Kaufmannszünfte bildeten damals ein Gegengewicht gegen Adel und Klerus, agierten bürgernah und übernahmen Verantwortung in den Kommunen. Mit dem Aufkommen der Discounter verloren diese lebendigen Marktplätze an Bedeutung. Doch heute kommen sie dem Bedürfnis nach Kommunikation und Verweilqualität wieder entgegen. „Dritte Orte“ nennt sie Christoph Hinderfeld. Dort wächst zusammen, was im Kiez schon immer zusammen gehört hat, der Biobäcker trifft auf Ur-Berliner Erbsensuppe, Innovation geht Hand in Hand mit Tradition, Nachhaltigkeit und Regionalität sind im Fokus. Und über allem steht die Haptik. Fühlen, riechen, schmecken. Frische Produkte nach Hause tragen.

Weitere Market Places in Planung

Das komplette Konzept hat die Die Zunft AG folgerichtig Zunft[orte] getauft. Und davon sollen in den nächsten Jahren etliche mehr entstehen. Konkret in der Planung ist das Zunft[quartier] Zeche Westerholt an der Stadtgrenze von Herten und Gelsenkirchen. Mitten im Ruhrpott entsteht auf dem Areal eines ehemaligen Bergwerks zurzeit ein Quartier für Arbeiten und Wohnen – und dort sollen auch ein guter Dritter Ort und eine Markthalle eingebunden werden. Ebenso in Rothenburg ob der Tauber: Location ist die historische Schrannenscheune, ein einstiger Getreidespeicher. „Beide Projekte laufen gerade durch die politischen Gremien, danach gehen wir in die Detailplanung“, verrät Christoph Hinderfeld. Die Zunft AG liebäugelt aber auch mit einer Markt- und Manufakturenhalle in Bamberg, einer Location in Dornbirn, ebenso in Dortmund, Köln und Mannheim. Erste Gespräche laufen. Andere Projektvorplanungen indes waren für die damalige Zeit zu früh und wurden wieder verworfen: so eine Markthalle in der alten Rinderauktionshalle am Prenzlauer Berg in Berlin 2004 und der Zeche Zollverein Essen 2012.

So profitieren Händler

Für Händler, die sich in den Markthallen einen Standort sichern, ergeben sich diverse Vorteile. „Ein zentraler Bestandteil aller Zunft[orte] wird das Zunft[netz] sein. Die Zunft[orte] mit neuen Formen des Konsums, des Lebens und des Arbeitens werden auch durch eine neue Form des Miteinanders geprägt sein: Ressourcen, die gemeinsam genutzt, Projekte, die zusammen initiiert werden, Geschäftsmodelle, an denen alle teilhaben können“, beschreibt Hinderfeld das Co-Working. Konkret bedeutet das ein High-Performance-WiFi-Netz mit Cloud-Plattform, das alle Stakeholder – Kunden und Besucher sowie Händler, Erzeuger, Gastronomen, Veranstalter und Wohnungseigentümer oder –mieter – verbindet, um smarte Services zu offerieren und Prozesse zu optimieren. Auch die Locations untereinander werden verlinkt sein, sodass sich Synergieeffekte ergeben.

Spannende Places bevorzugt

Beim geplanten Rollout der „Dritten Orte“ sind Standort und Charme der Location immer im Fokus. „Wir legen Wert auf authentische Architektur, bevorzugen spannende reversible Baustrukturen“, beschreibt Christoph Hinderfeld. „Wichtig sind ferner gute Erreichbarkeit und Mieten, die mit der Grünen Wiese konkurrieren können.“ Bei allen historischen Bezügen bleibt die Digitalisierung nicht auf der Strecke. Schon jetzt gibt’s die ersten hybriden Formate, zum Beispiel eine Plattform für Wein. Und wer zum Beispiel „Gebratenes Kalbsbries mit Linsensalat“ googelt, landet mit den ersten drei Treffern in Seiten des Zunft-Kommunikationsbereiches, darunter die Arminiusmarkthalle – KI macht’s möglich.

Susanne Müller