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Restart
Susanne Müller
Während der Amtszeit der vorherigen EU-Kommission herrschte ein hoher Druck zur Regulierung. Das neu gewählte EU-Parlament legt den Schwerpunkt auf Umsetzung und Investitionen, was sich laut Julien Bouyeron positiv auf den hiesigen Sektor auswirken dürfte. Der Generalsekretär des ECSP erläutert die Mechanismen des neuen Europäischen Parlaments sowie die neue Kommission und erklärt, wie die nächsten fünf Jahre für den Sektor in Brüssel voraussichtlich aussehen werden.
Die wichtigste Erkenntnis nach den Europawahlen im vorigen Sommer sei, dass sich die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nach rechts verschoben habe, so Bouyeron. „Die Europäische Volkspartei – EVP – Mitte-Rechts – ist jetzt mit 188 von 720 Sitzen bei weitem die größte Fraktion im Europäischen Parlament, und auch die radikale Rechte hat stark zugelegt. Wird sich dies nun auf das Kräfteverhältnis im Europäischen Parlament auswirken?“, stellt er in den Raum.
Zentristische Ausrichtung
„Ein Parlament funktioniert mit einer Mehrheit. Bisher wurden die Gesetze im Europäischen Parlament mit einer liberalen, zentristischen Majorität verabschiedet. Auch wenn das EU-Parlament jetzt nach rechts rückt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Standardmehrheit zentristisch bleibt. Nichtsdestotrotz kann es in Zukunft je nach Thema andere Koalitionsszenarien geben, und es kann gelegentlich zu einer Rechtskoalition kommen, weil es bei Themen wie Landwirtschaft und Einwanderung eine starke ideologische Nähe gibt. Kurzum: Es wird in dieser neuen Legislaturperiode nicht wie in der Vergangenheit eine zentristische Mehrheit geben, die alle Gesetzesentwürfe verabschiedet, sondern mehrere Mehrheiten“, ordnet Bouyeron ein. Aber was bedeutet das in der Praxis und für die Branche?
Push für grüne Topics
Dazu der ECSP-Generalsekretär: „Die gute Nachricht ist, dass sich die Verabschiedung grüner Politiken wahrscheinlich deutlich verlangsamen wird. Seit 2019 und der Verabschiedung des Green Deals hat die EU viele ehrgeizige grüne Maßnahmen verabschiedet, die vom Verbraucherrecht bis zur Produktpolitik reichen. Dies ist die Folge mehrerer Faktoren, wie des erheblichen Sitzverlustes der grünen Parteien und der Tatsache, dass fast alle EU-Rechtsvorschriften bereits überarbeitet wurden, um umweltfreundlicher zu werden. Daher ist zu erwarten, dass anstelle der Einführung zusätzlicher grüner Maßnahmen die Um- und Durchsetzung der neu verabschiedeten Vorschriften und die Finanzierung des grünen Übergangs im Vordergrund stehen werden. Dies ist eine positive Entwicklung für unsere Branche, da das Anspruchsniveau der EU-Umweltpolitik in den letzten fünf Jahren extrem hoch war und den Einzelhandelsimmobiliensektor vor große Herausforderungen gestellt hat.“
Prioritäten der EU-Kommission
Was sind die Prioritäten der Kommission für die nächsten fünf Jahre? „Mehrere offizielle EU-Dokumente haben uns bereits einen Vorgeschmack auf die Absichten der Kommission gegeben“, meint Bouyeron. „Das erste ist die strategische Agenda der EU, die vom Europäischen Rat im Juni 2024 verabschiedet wurde. Obwohl diese Agenda sehr allgemein gehalten ist und kein Arbeitsprogramm darstellt, spiegelt sie einige grundlegende Entscheidungen wider. In diesem Dokument kündigten die Staats- und Regierungschefs der EU beispielsweise an, dass die Unterstützung der Ukraine und das Erreichen des grünen und digitalen Wandels weiterhin zu den Prioritäten der EU gehören werden. Das wichtigste Dokument für die Festlegung der Prioritäten der Lobbyarbeit sind jedoch die politischen Leitlinien des Kommissionspräsidenten. Sie wurden Anfang Juli 2024 veröffentlicht und enthalten einen detaillierteren Plan der Absichten der Kommission für die kommenden fünf Jahre.“
Hausaufgaben der EU
Für die Branche sind laut Bouyeron vor allem die folgenden Leitlinien relevant: Schwerpunkt auf die Umsetzung der EU-Politik einschließlich EBPD, CSDDD und Taxonomie-Verordnung, Verstärkung der Durchsetzung des Gesetzes über digitale Gesetze und Dienste einschließlich der Bewältigung von Herausforderungen mit Plattformen des elektronischen Handels. Ferner die Ausschöpfung des Datenpotenzials einschließlich des Aufbaus einer europäischen Datenunionsstrategie sowie die Bekämpfung der organisierten Kriminalität inklusive der Verabschiedung einer neuen europäischen Strategie der inneren Sicherheit. Damit einher gehen Sicherheitsstrategie und die Umwandlung von Europol in eine echte operative Agentur. Ebenfalls auf der Agenda steht die Bewältigung der Wohnungskrise – sinnvoll wären wohl die Ernennung eines Kommissars – und die Verabschiedung eines ersten europäischen Plans für erschwinglichen Wohnraum. Last but not least die Anerkennung der Tatsache, dass das soziale Gefüge beschädigt wurde.
Maßnahmen sind fällig
Die Konzentration auf Umsetzung und Investitionen sei positiv, da der Regulierungsdruck während der Amtszeit der vorherigen Kommission sehr hoch war. Was nun ansteht, sind Maßnahmen in Energie, Finanzierung, Sicherheit und Soziales. Und: „Um die EPBD zu erfüllen, muss der Immobiliensektor in Bezug auf die Finanzierung, Digitalisierung und das Sammeln von Beweisen für das ungleiche Spielfeld zwischen Omnichannel-Einzelhändlern und Online-Marktplätzen aktiv werden“, sagt Bouyeron.
Susanne Müller