Schluss mit Lippenbekenntnissen

Mathias Ullrich
Mathias Ullrich. © Liganova

Aktuelles
Substanz

Mathias Ullrich

Die Welt- und die Wirtschaftslage, der Trend zu Nachhaltigkeit und zu bewusstem Konsum, das neue Verständnis von Luxus und der Anspruch an eine Sinnhaftigkeit von Produkten machen hohlen Lippenbekenntnissen in der Markenkommunikation ein Ende. Die Folge? Mehr Substanz, mehr Transparenz und mehr Werteorientierung in allen Dimensionen der Marke.

Unsere Gesellschaft hat sich noch nicht von der Corona-Pandemie erholt, da folgen Kriege, Naturkatastrophen und Krisen. Inflation und Rezession drücken auf die Kauflaune, die Menschen überlegen sich sehr genau, wofür sie ihr Geld ausgeben. Konsum ist heute eine bewusste Entscheidung. Diese Entwicklung wirkt sich unmittelbar auf die Markenkommunikation aus, denn es zeigt sich: Kunden sind durchaus gewillt zu kaufen, auch Teures, wenn sie sicher sein können, dass Produkt und Marke „richtig“ sind.

Bling Bling war gestern

Die Luxusbranche ist beispielhaft für diese Entwicklung: Dort ist vom neuen Luxus – New Luxury – die Rede. Spielten im traditionellen Luxus noch der zur Schau gestellte Besitz von großen Autos, teurer Kleidung und wertvollem Schmuck oder der Besuch hochpreisiger Hotels und Restaurants eine wichtige Rolle, zählt im New Luxury das persönliche Erleben. Marken, die Authentizität, Nachhaltigkeit und Einzigartigkeit versprechen, sind dem Bling-Bling-Luxus von einst überlegen. Herkunft und Herstellung, Sinnhaftigkeit und Substanz von Produkten und Marken heißen die Garanten des neuen Luxuskonsums – individuelle Erlebnisse, Teilhabe und Zugehörigkeit zu einer Community sind Konsumenten weit wichtiger als der reine Besitz von Waren.

Die Marke als sicherer Hafen

Während draußen die Welt tobt, suchen die Menschen mit ihrer Entscheidung für eine Marke einen sicheren Hafen – einen Ort, an dem Werte herrschen, die sie teilen, mit Menschen, die ebenfalls diese Werte teilen. Der Kauf eines Produkts ist identitätsstiftend, und zwar nicht mehr im Sinne von „Schaut her, was ich mir leisten kann!“, sondern „Schaut, dies habe ich gekauft, denn es verkörpert eine Haltung, die ich teile“. Die Erfahrung zeigt: Trends im Luxussegment strahlen auf andere Industrien ab. Wir dürfen also davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung mittelfristig auf den gesamten Konsum ausweiten wird. Der Purpose wird zum Kaufargument, die Qualität schlägt Quantität.

Grundvoraussetzung? Ehrlichkeit!

Die Substanz einer Marke basiert auf drei Grundpfeilern. Markenkern und Markenwerte: Markenverantwortliche müssen sich fragen: Welche Markenwerte verkörpern wir? Wie substanziell tun wir das? Und: Wie wird unsere Marke zu einer gelebten Marke mit einer Community, die ihre Werte teilt? Die Suche nach Antworten hat nur dann Sinn, wenn der Markenkern und ihre Werte tatsächlich über Substanz verfügen. Wer in der Vergangenheit auf Werbe-BlaBla und Marketing-Schönfärberei gesetzt hat, wird spätestens dann entlarvt werden, wenn er eine Community aufbaut. Konsumenten haben ein Gespür dafür – und im Zweifel auch sehr gute Recherchemöglichkeiten –, ob eine Marke hält, was sie verspricht. Marken müssen sich abgrenzen und definieren, warum Konsumenten ausgerechnet sie wählen sollen. Dabei geht es nicht allein um das Produkt, sondern eben um Haltung und Purpose, den starken reason why.
Nachhaltigkeit: Es ist längst nicht mehr nur moralisch geboten, sondern mittlerweile ganz klar der Anspruch von Konsumenten: Marken müssen sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig agieren. Und zwar ernsthaft. Dafür brauchen Unternehmen Mitarbeitende mit dem entsprechenden Know-how und eine Unternehmenskultur, in der Nachhaltigkeit über alle Ebenen und Tätigkeiten hinweg fest verankert ist. Nachhaltigkeit erfordert Substanz, sie lässt sich nicht nebenbei erledigen. Viele zukunftsgerichtete Unternehmen arbeiten momentan mit Hochdruck daran, nachhaltiger zu werden. Mitarbeitende müssen in allen Prozessen Nachhaltigkeit mitdenken und messbar machen. Das ist zunächst neu und mühsam, aber sinnvoll und in vielerlei Hinsicht lohnend – nicht zuletzt für die Rekrutierung junger Talente.
Transparenz: In vielen Unternehmen existieren immer noch zahllose unstrukturierte Daten. Datensilos, fehlende Schnittstellen und ein geringer Digitalisierungsgrad erschweren eine ganzheitliche Sicht auf die Faktenlage. Ohne diese Informationen lässt sich weder transparent noch glaubwürdig kommunizieren. Marken müssen künftig wesentliche Nachhaltigkeitskennziffern parat haben – angefangen beim CO2-Fußabdruck über soziale Standards bis hin zu Lieferketteninformationen. Spätestens mit dem Inkrafttreten der EU-Green Claims Directive – voraussichtlich ab 2027 – sind Marken, die ihre Produkte in der Außenkommunikation mit nachhaltigen Labels bewerben, zu einem sehr detaillierten Nachweis verpflichtet, dass zutrifft, was sie kommunizieren. Marken ohne Substanz in ihrer Nachhaltigkeit werden nicht wettbewerbsfähig sein. Derzeit stehen viele Marken vor der großen Herausforderung, ihre Aktivitäten transparent zu belegen. Ohne diese Belege aber fehlt ihnen die Glaubwürdigkeit nach außen und nach innen.

Von innen nach außen

Werte, Haltung und Markenkern müssen für die Konsumenten fühlbar sein. Wo die Menschen mit der Marke im Wortsinn in Berührung kommen – nicht umsonst heißt es Touchpoints – sind die verwendeten Materialien ein Bestandteil des Markenerlebnis. Materialien transportieren Marke. Stoffe und Ressourcen, die für Ladenbau, Events und Kommunikationsmittel verwendet werden, müssen deshalb mit Bedacht ausgewählt sein. Mittlerweile geben professionelle Datenbanken Auskunft darüber, welche Materialien nachhaltig sind und wie sich Materialien durch nachhaltigere ersetzen lassen. Marken dürfen Althergebrachtes nicht mehr einfach abnicken, sondern müssen richtig hinschauen: Wie tauschen wir uns mit unserer Zielgruppe aus? Wie treten wir in Erscheinung? Wie kommunizieren wir? Wird beispielsweise zu viel Papier verwendet? Wäre eine App eine nachhaltigere Alternative oder E-Mails oder Instore Media oder Displays? Es gilt, jede Kommunikation sorgsam zu überprüfen.

Königsweg für Marken mit Substanz

„People don’t buy what you do. They buy why you do it.“ Dieser berühmte Satz des Management-Vordenkers Simon Sinek ist zutreffender denn je. Sineks Purpose-Theorie geht vom „Goldenen Kreis“ aus: Im Mittelpunkt eines Unternehmens steht ihr zufolge die Frage nach dem „Why?“, gefolgt von dem „How?“ und schließlich der nach dem „What?“. Die Frage nach dem Why, dem Warum, ist auch eine Frage nach der Substanz. Ohne sie ist keine Antwort möglich. Wer für nichts steht, kann nur fabulieren. Wer keinen Unternehmenszweck hat, ist nicht zukunftsfähig. Bei der Definition des „How“ geht es darum, wie die Marke in den Austausch mit ihrer Zielgruppe tritt – in der Kommunikation, in Stores, auf Events, in Form von Digital Experiences und Brand Experience. Alle Berührungspunkte müssen die Markenwerte widerspiegeln und eine authentische und vernetzte Customer Journey bieten. Zu guter Letzt geht‘s um das „What“, die Umsetzung des Unternehmenszwecks in Form von Produkten, Services und Materialien. Der Dreiklang von Why, How und What ist der Königsweg für Marken mit Substanz. Werteorientierung, Glaubwürdigkeit und Authentizität von Marken werden in den Konsumentscheidungen der Menschen künftig eine immer größere Rolle spielen. Aufgeblasene Werbelügen werden entlarvt, das BlaBla wird abgestraft werden. Substanz entscheidet.

Mathias Ullrich