»Schnick-Schnack-Schnuck mit Pepper«

Begegnung mit dem Roboter Pepper
Begegnung mit dem Roboter Pepper © scharfsinn86 – stock.adobe.com

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Richard Haimann

Eine neue Studie zeigt: Die Mehrheit der Deutschen hält am Offline-Shopping fest. Auch Investoren entdecken Retail-Immobilien wieder als lukrative Anlageobjekte. Um gegen E-Commerce-Anbieter dauerhaft zu bestehen, muss der stationäre Einzelhandel seinen Kunden jedoch mehr Erlebnisse bieten – von Modeschauen über Kochabende bis zu stets gut gelaunten Robotern, die bei der Produktsuche helfen

 

Ed Flemings Aufgabe ist es zwar, ausgabefreudige Konsumenten auf die Webseiten von Internet-Händlern zu locken. Der Geschäftsführer der Online-Gutschein-Plattform Savoo weiß aber, dass die Herzen vieler Verbraucher für den stationären Handel schlagen: »Die Mehrheit der Deutschen hält am Offline-Shopping fest.«

Die Bundesbürger kehren in die Geschäfte zurück – sehr zur Überraschung all jener Auguren, die mit Ausbruch der Covid-19-Pandemie dem E-Commerce den endgültigen Siegeszug verheißen hatten. Eine repräsentative Umfrage von Savoo unter Verbrauchern zeigt, dass 86 Prozent der Deutschen weiterhin Ladengeschäfte für »wichtig« erachten. Für 59 Prozent der Konsumenten sind Besuche bei stationären Einzelhändlern »die bevorzugte Art des Einkaufens«. 30 Prozent sind zudem der Ansicht, dass sie »in stationären Geschäften bessere Angebote finden als in Online-Shops«. Flemings Fazit: »Kunden schätzen das persönliche Erlebnis, das nur der stationäre Einzelhandel bieten kann.«

Das haben auch Investoren erkannt. Während in der vom langen Lockdown geprägten ersten Hälfte des vergangenen Jahres lediglich Einzelhandelsimmobilien im Gesamtwert von 3,2 Milliarden Euro erworben wurden, kehrten Käufer in der zweiten Jahreshälfte mit Macht an den Markt zurück. »Von Anfang Juli bis Ende Dezember addierte sich das Gesamttransaktionsvolumen auf 5,3 Milliarden Euro«, sagt Sarah Hoffmann, Leiterin Retail Investments Deutschland bei der Immobilienberatungsgesellschaft JLL. »Der Umsatz in der zweiten Jahreshälfte lag 16 Prozent über dem Volumen im Vergleichszeitraum des Vorjahres«, sagt Christoph Scharf, Geschäftsführer der Immobilienberatungsgesellschaft BNP Paribas Real Estate und Leiter Retail Services.

Spitzenrenditen für Handelsimmobilien

Am stärksten gefragt waren Fachmarktzentren, in die Investoren im vergangenen Jahr insgesamt 5,9 Milliarden Euro anlegten, was rund 68 Prozent des Investitionsvolumens entspricht. »Umfangreich beteiligt am Transaktionsgeschehen waren zudem Geschäftshäuser mit einem Anteil von 20 Prozent oder 1,74 Milliarden Euro«, sagt Scharf. »Shopping Center und Kaufhäuser kommen auf Anteile von weiteren elf Prozent, respektive sechs Prozent.« Der geringe Anteil von Warenhäusern am Handelsvolumen dürfte vor allem darauf zurückzuführen seien, dass nach den Unternehmensübernahmen von Galeria Kaufhof und Karstadt in den Vorjahren der Markt beinahe leergefegt ist.

Und: Käufer sind weiterhin bereit, sehr hohe Preise für Geschäftshäuser zu zahlen.  »Objekte in Toplagen wurden in München zu Spitzenrenditen von 2,4 Prozent und in Berlin zu 2,6 Prozent gehandelt«, sagt JLL-Expertin Hoffmann. Die Kaufpreise entsprechen damit dem 41,7-fachen und dem 38,5-fachen des jeweiligen Jahresmietertrags. Bei den Fachmärkten sanken die Spitzenrenditen um zehn Basispunkte auf 4,5 Prozent – was einem Anstieg auf 22,2 Jahresmieten entspricht. Fachmarktzentren verteuerten sich im Vergleich zum Vorjahr von 25,6 auf 28,6 Jahresmieten. »Die starke und kontinuierliche Renditekompression bei den Fachmarktprodukten macht Shopping Center zunehmend wieder für Investoren interessant«, sagt Hoffmann. »Entscheidend ist, dass die aktuellen Center-Eigentümer ihre Hausaufgaben machen und die Objekte zukunftsfähig aufstellen.«

Die Zukunft des Einzelhandels bestimmen auch die Händler

Ähnlicher Ansicht ist Savoo-Chef Fleming. Er sagt, der stationäre Handel müsse noch stärker auf die Herausforderungen durch den E-Commerce reagieren. »Der Einzelhandel wird nie mehr so sein wie vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie, da sich der Wechsel zum Online-Shopping beschleunigt«, sagt Fleming. »Die Zukunft des Einzelhandels liegt nicht nur in den Händen der Konsumenten – auch die Händler spielen eine große Rolle bei der künftigen Gestaltung des Kundenerlebnisses.« Damit der Einzelhandel weiter bestehen könne, sollten die Einzelhändler »das Einkaufserlebnis in den Vordergrund stellen«, rät der Geschäftsführer. »Um auch weiterhin Kunden zu gewinnen, müssen die Geschäfte ein Erlebnis bieten, das die Menschen nicht im Internet oder auf ihren Handys finden.«

Seit Jahren arbeiten Einzelhandelsfirmen an solchen Strategien für die Zukunft. Die Lösung wird vor allem im Multi- und Omnichannelmarketing gesehen. Unternehmen bewerben und bieten ihre Waren im Internet und über diverse soziale Medien an – und ebenso in stationären Geschäften. In der Mittagspause können Konsumenten online ein Produkt bestellen, nach Dienstschluss in der nächsten Filiale des Anbieters ausprobieren – und bei Gefallen direkt erwerben.

Jeder zweite Online-Shop verkauft zusätzlich über Plattformen

Von der »Verzahnung digitaler Touchpoints« spricht Lars Hofacker, Leiter des Forschungsbereichs E-Commerce beim EHI Retail Institute. »Online-Shop, Mobile Marktplätze, Internet-Plattformen, Storekonzepte« – breit aufgestellte Händler erreichen ihre Kunden überall in den virtuellen Datennetzen und ganz real vor Ort in Shopping Centern, Fachmarktzentren oder in den Einkaufszonen.

Immer mehr Unternehmen mit eigenen Online-Shops bieten ihre Waren dabei auch auf sogenannten Internet-Marktplätzen wie Amazon oder eBay feil. Das zeigt die jüngst veröffentlichte Studie »E-Commerce-Markt Deutschland 2021«, die das EHI Retail Institute gemeinsam mit dem Statistikportal Statista erstellt hat. »Mehr als jeder zweite Online-Shop verkauft auch über Marktplätze«, sagt Lars Hofacker, E-Commerce-Experte beim EHI. 44,8 Prozent der in der Studie analysierten Anbieter seien bei Amazon aktiv, 36,3 Prozent bei eBay und 14,4 Prozent nutzten den Online-Marktplatz von Kaufland.

Doch nirgendwo ist die Konkurrenz größer als im weltweiten Datennetz. Gewiefte Online-Verkäufer vergleichen ständig die von Mitbewerbern aufgerufenen Preise für begehrte Produkte und verbilligen ihre Offerten, um auf Vergleichsplattformen an die vorderste Stelle zu kommen. Da Kunden über diese Portale binnen Sekunden für jedes Produkt den jeweils günstigsten Anbieter finden, kann der reine Online-Wettbewerb schnell zu einem ruinösen Geschäft werden.

»Ladies Night, Mini-Konzert, Kochevents ...«

Punkten kann der stationäre Handel hingegen auf seinem ureigensten Spielfeld: In seinen Ladengeschäften – mit freundlichen, kompetenten Mitarbeitenden, wohlsortiertem Produktangebot, anheimelnder, gemütlicher Atmosphäre und Events, die Kunden locken. »Modenschau, Ladies Night, Mini-Konzert, Kochevent und Ähnliches machen das Geschäft zur Anlaufstelle, die einen Ausgleich zum Alltag bietet«, erklärt Ute Roggendorf, Redakteurin beim Online-Fachshop Ladenbau.de.

Neue Digitaltechnik hilft nicht nur beim Marketing und Verkauf über das Internet und die Sozialen Medien. Die Elektronik-Fachmarktketten Conrad Electronic und MediaMarktSaturn haben bereits 2017 begonnen, Service-Roboter in Pilotprojekten in ausgewählten Filialen einzusetzen. Sie empfangen, stets gut gelaunt, Kunden im Eingangsbereich, weisen ihnen den Weg zu den gewünschten Produkten – und sind selbst eine Attraktion. Nicht nur Kinder lieben die humanoid geformten Kunstwesen, die mit den Augen klimpern können und diverse Mimiken beherrschen. Auch bei Erwachsenen kommen sie gut an.

Das zeigt ein Feldtest von Patrick Meyer. Der ehemalige Doktorand der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und heutige Consultant der Münchner Unternehmensberatung elaboratum flanierte mit dem menschenähnlich geformten Maschinenwesen »Pepper« durch das Einkaufszentrum Gerber in der Stuttgarter Innenstadt. Der weißgefärbte Roboter mit den großen Augen im Kindchenschema zeigte dabei Besuchern den Weg zu ihrem Zielgeschäft im Center, forderte sie auf, ein Selfie mit ihm zu machen und dieses anschließend als Marketingmaßnahme auf die Facebook-Seite des Centers hochzuladen oder bot ihnen an, mit ihm Schnick-Schnack-Schnuck zu spielen.

Die Reaktionen waren durchweg positiv. »Das Interesse an Pepper war überwältigend«, sagt Meyer, der nach jeder Begegnung die Besucher befragte, was ihnen an der Interaktion gefallen und missfallen hat und wo sie sich künftig einen Einsatz von Robotern vorstellen können. Nicht nur junge, mit Computern und Smartphone aufgewachsene Digital Natives hätten gern mit Pepper interagiert. Auch Senioren hätten viel Spaß dabei empfunden. Und: Frauen, tendenziell weniger technikaffin als Männer, hätten generell die Begegnung mit dem Roboter als »unterhaltsam« beurteilt.

Teurer Kumpel: 20.000 Euro pro Roboter

In Asien und den USA sind Roboter seit Jahren im Einzelhandel im Einsatz. Allein in Japan sind mehr als 16.000 der vom französischen Hersteller Aldebaran und dem Nippon-Konzern Softbank entwickelten Pepper-Roboter in Shopping Centern und Warenhäusern im Einsatz – und das bei Stückpreisen von umgerechnet mehr als 20.000 Euro.

Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé setzt rund 1.000 dieser humanoidgeformten Maschinenwesen in Elek­tronikmärkten im fernöstlichen Indus­triestaat ein, um Kunden beim Kauf von Kaffeemaschinen aus dem Alpenland zu beraten. Die 1,20 Meter großen Roboter mit menschlichem Aussehen geben Erläuterungen zu den unterschiedlichen Produkten und helfen den Kunden so bei der Auswahl. »Sie sind aber kein Ersatz für menschliche Verkäufer«, sagt eine Nestlé-Sprecherin. Sie dienten vielmehr allein der Entlastung des Verkaufspersonals bei der Beantwortung von Routinefragen. Roboter bieten jedoch noch einen weiteren Vorteil: Sie können jede Kundenanfrage speichern und an eine Auswertungssoftware weiterleiten. Die kann dann abgleichen, ob Produkte gewünscht werden, die bislang nicht im Sortiment sind.

Allerdings kommen Roboter nicht immer gut bei Kunden an. Das zeigt das Beispiel des US-Einzelhandelsgiganten Walmart. Das mit verkauften Produkten im Gesamtwert von insgesamt 559,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 umsatzstärkste Unternehmen der Welt, hat jüngst entschieden, Roboter nicht länger den aktuellen Warenbestand in den Regalen seiner Filialen scannen zu lassen. Manche Kunden fühlten sich unwohl, wenn die 1,83 Meter hohen, eher grobschlächtig geformten Maschinen an ihnen vorbeirollten. Zuvor hatte der Konzern bereits rund 500 Roboter des US-Herstellers Bossa Nova Robotics angeschafft, um in seinen 10.566 Filialen langfristig Personal für die Kontrolle der Regalbestückung einsparen zu können. »Manche Roboter können auf Kunden bedrohlich wirken«, zitiert das US-Wirtschaftsmagazin Forbes Mark Cook, Leiter Retailer Solutions bei dem auf den Einzelhandel fokussierten Digitalisierungsspezialisten Trax. »Einzelhändler müssen daher die richtigen Roboter einsetzen« – jene, die humanoid geformt sind und mit den Augen klimpern können...


Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist