Sich einfach mal trauen

Konrad Grüss
Konrad Grüss © Paul Barendregt

Interview
Passion

Ingmar Behrens

Konrad Grüss hat den Bogen vom IKEA-Einrichtungshaus in Leipzig über Schweden und Russland bis zu hin zu Inter IKEA Systems B.V.  in Delft in den Niederlanden geschlagen. Eine steile 28-jährige Karriere bei IKEA.

Handel ist Wandel, und auch für dich gilt, dass nach 28 Jahren der Kompass einmal neu ausgerichtet wird. Eine spannende Entscheidung in einer spannenden Zeit. Aber bevor wir in die Zukunft schauen, möchten wir einen Blick auf das, was war und was ist, werfen. Du hast deine Laufbahn im Leipziger IKEA-Haus gestartet und bist zum CEO und Managing Director von Inter IKEA Systems B.V. aufgestiegen. Was ist Inter IKEA Systems B.V.?
Inter IKEA Systems B.V.ist der Eigentümer des IKEA-Konzeptes, der Marke IKEA und auch der weltweite IKEA Franchisor. Als Franchisor ist Inter IKEA Systems B.V. unter anderem für die kontinuierliche Weiterentwicklung des IKEA-Konzepts, die Expansion aber auch für die Implementierung und erfolgreiche Umsetzung des IKEA-Konzeptes in bestehenden und neuen Märkten verantwortlich. Dies ermöglicht, IKEA in Bereichen wie Markenentwicklung, Nachhaltigkeit, Menschen und Umwelt, Marktpotenzial und Expansion zukunftsorientiert zu bleiben. Desweiteren entwickelt und erstellt IKEA Marketing & Communication AB, eine Tochtergesellschaft von IISBV, das meiste der Inhalte für die weltweite IKEA Kommunikation. Im Geschäftsjahr FY22 erreichte der weltweit gesamt IKEA-Einzelhandelsumsatz 44,6 Milliarden Euro. 822 Millionen Menschen besuchten mehr als 450 Einrichtungshäuser in 63 Ländern in Europa, Nord- und Südamerika, Asien, dem Mittleren Osten und Nordafrika. Die Online-Kanäle von IKEA verzeichneten 4,3 Milliarden Besucher. Insgesamt arbeiteten 231.000 IKEA-Mitarbeiter für IKEA im Geschäftsjahr FY22.

Wie viel Einsatz und Leidenschaft gehören zu einer solchen Karriere?
Im Grunde bin ich ein Beispiel für die hervorragenden professionellen, aber auch persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten, die man als Mittarbeiter bei IKEA hat. Natürlich ist man für die eigene Entwicklung immer selbst verantwortlich! Man muss es wollen, man muss offen sein, beobachten, zuhören können aber auch selbst austesten, sich trauen, Fehler machen, reflektieren, lernen und immer weitermachen, auch wenn es mal schwierig wird. Aber IKEA hat immer geholfen. Sei es durch Kollegen, Vorgesetzte und Leaders die ihrerseits Vorbild und „Role Model“ gewesen sind, durch praktische Trainingsangebote aber auch durch gelebtes Vertrauen, herausfordernde Aufgaben und Verantwortungen, verbunden mit offenen Entwicklungsgesprächen und direktem Feedback. Und, last but not least, muss man sagen dass ich bei IKEA einfach eine sehr starke Firmenkultur und Werte erlebt habe, die uns als Kollegen, unabhängig in welcher Position, welcher Organisation und welchem Land du arbeitest, inspiriert, motiviert und verbunden hat.

Jon Abrahamsson, CEO der Inter IKEA Gruppe, hat dich gelobt: „Er (Konrad) hat eine große Fähigkeit, Menschen und Geschäft zu verbinden". Wie sieht das in der Praxis aus?
IKEA war und wird niemals eine „one-man show“ sein! In einer integrierten Value Chain, wie IKEA sie hat, braucht man Menschen, die zusammenarbeiten, die an die gleiche Sache glauben und sich gegenseitig respektieren. Jeder bei IKEA ist superwichtig, muss Ideen entwickeln, Probleme lösen und Dinge verbessern, man muss Verantwortung nehmen und Entscheidungen fällen. Meine Leadership basiert auf der Überzeugung, dass ein tiefes Verständnis der komplexen und grundlegenden Fragen, mit denen man sich als Unternehmen konfrontiert sieht, es ermöglicht, zu nachhaltigen und umsetzbaren Lösungen zu gelangen. Ich umgebe mich immer mit Kollegen, die unterschiedlich sind, die selbst neugierig und explorativ sind und vielfältige Ideen haben, da ich glaube, dass dies es am wahrscheinlichsten macht, Lösungen für die Zukunft zu finden und Herausforderungen erfolgreich meistern. Aber Zusammenarbeit allein reicht nicht aus. Entscheidungen, auch solche die so genannte „Wahrheiten“ und Traditionen einer Firma stören könnten, auf ruhige und ausgewogene Weise zu treffen, weckt normalerweise bei den Menschen um mich herum Selbstvertrauen und Zuversicht. Last but not least frage ich mich immer selbst aber auch meine Mittarbeiter und Kollegen, was die Erwartungen an einen neuen Job, eine Rolle oder Aufgabe sind. Also nicht nur, was es der Firma nutzt, sondern auch, was man selbst erleben, lernen und für sich entwickeln will. Und das hat für mich in den meisten Fällen bei IKEA immer gut funktioniert.

Zuvor warst du als Global IKEA Expansion Manager tätig. Welche Unterschiede in der Handelslandschaft der einzelnen Länder und Kontinente hast du beobachtet? Und welche gemeinsamen Herausforderungen prägen den internationalen Markt?
In meiner Zeit bei Inter IKEA haben wir, zusammen mit den verschieden IKEA Franchisees, 16 neue Märkte in Asien, Europa, im Mittleren Osten Nord und in Südamerika eröffnet. Was deutlich für mich ist, ist dass wir Menschen bei allen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen unterschieden mehr Gemeinsamkeiten haben. Menschen lieben sich, bekommen Kinder, arbeiten, machen Sport, genießen freie Zeit, lieben es, einzukaufen, machen sich Sorgen um die Umwelt, und die meisten haben ein kleines Budget, um den Alltag zu meistern! Wenn ich mir die Handelslandschaften ansehe, finde ich, China und die USA sind ziemlich fortgeschritten. Business Ecosystems wie Amazon, Airbnb, Taobao oder WeChat Pay, WeChat Work, WeChat Games, WeChat Marketing, WeChat Channels and WeChat Advertising sind Beispiele, die ziemlich großen Einfluss auf das Einzelhandelsgeschehen haben. In vielen Ländern, die wir untersucht haben, gibt es ähnliche Entwicklung. Die größten Herausforderungen für das Einzelhandelsgeschäftsmodell überall auf der Welt sind allerdings dessen Einfluss auf die Umwelt, und wie man es zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell umbaut, ohne die Preise so anzuheben, dass sich die vielen Menschen mit kleinem Budget es trotzdem immer noch leisten können. Einkaufen darf kein exklusives Ding werden. Das bedarf Investment, Innovation und vor allem klares Leadership.

Der Cocooning-Trend der Corona-Zeit ist ein wenig abgeebbt. Wirkt sich das aufs Business aus?
Die Corona-Zeit hat, glaub ich, allen Menschen gezeigt, wie wichtig die eigenen vier Wände sind. Wie wichtig ein Zuhause ist, in dem man sich wohl fühlt, wo man zusammen als Familie oder mit Freunden Zeit verbringt, aber auch mal für sich selbst sein kann. Wo man sich erholen kann, arbeiten kann, aber auch seine Kreativität ausleben möchte. Nach Corona wollen Leute natürlich wieder reisen und draußen sein, aber in meinen 28 Jahren bei IKEA habe ich eigentlich nur ein stetig ansteigendes Interesse am „Leben Zuhause“ gesehen. Selbst wenn der Heimeinrichtungsmarkt mal ein bisschen runtergeht, bleibt das Zuhause ein wichtiger Ort für die meisten Menschen.

IKEA rückt gerade mit den kleinformatigen Studios immer näher an die Menschen heran. Was ist der Gedanke hinter dieser Praxis?
Die Einrichtungshäuser waren, sind und werden auch in der Zukunft immer die wichtigsten Formate für IKEA sein. Da ist es, wo die ganze Familie ein Tag verbringen kann, sich Inspirationen und gute Lösungen für das eigen Zuhause anschaut und kauft, aber eben auch kleine Kinder Zeit im Småland verbringen oder zusammen mit der Familie zum Beispiel schwedische Kötbullar zum Mittag essen. In meiner Zeit bei Inter IKEA haben wir die unterschiedlichsten digitalen und stationäre Einzelhandelsformate getestet, ganz einfach, um besser verstehen zu können, wie wir zum Beispiel mehr Kunden erreichen können, ob das aus der Kundenperspektive Sinn macht und ob es wirtschaftlich für IKEA interessant ist.

Nach 70 Jahren hat IKEA mit einer Handelstradition gebrochen und im Zuge der digitalen Transformation den beliebten Katalog eingestellt. Welcher Gedanke steckt dahinter? Erreicht das Unternehmen jetzt noch die älteren Semester?
Das war eine Entscheidung, die ich mit meinen Kollegen getroffen habe. Der IKEA-Katalog hat sich in den vergangenen 70 Jahren zu einem echten Klassiker und einem wichtigen Erfolgsfaktor für IKEA entwickelt, der viele Menschen auf der ganzen Welt erreichte und inspiriert. Sowohl für IKEA-Kunden als auch für die Mitarbeiter war der IKEA-Katalog mit unzähligen tollen Erinnerungen und Emotionen verbunden. Wie auch immer, das Kundenverhalten und der Medienkonsum haben sich gewandelt, und der IKEA-Katalog wurde immer weniger genutzt. IKEA ist in der Zwischenzeit digitaler geworden und hat neue Wege gefunden, um die Menschen zu erreichen. Kunden planen die Umsetzung ihrer Wünsche und ihres Einrichtungsbedarfs zunehmend von zu Hause mit bestehenden, aber auch mit neuen, spannenden Tools wie dem IKEA-Kreativ-3D-Raumplaner.

Und nun zu dir: Hast du eine größte Leidenschaft oder eine Passion?
Oh ja, ich bin eine wirklich neugierige Person, deshalb reise ich super gerne, treffe neue Leute und habe außerdem gerade meine Leidenschaft fürs Trekking wieder gefunden. Ich bin gerade von einer neuntägigen Trekkingtour in Nordschweden, dem Kungsleden, zurückgekommen. Fantastische Natur, Mitternachtssonne, Rentiere zwei Meter vor meiner Nase und ein anstrengender, aber superschöner Wanderweg.

Was ist für deine persönliche Zukunft jetzt wichtig?
Nach 28 wirklich spannenden und erfolgreichen Jahren bei IKEA, wo ich unterschiedliche und umfangreiche Erfahrungen gesammelt habe, vom operativen IKEA-Einzelhandelsgeschäft über die Entwicklung des globalen IKEA-Küchengeschäfts bis hin zu internationaler Expansion und Franchising, möchte ich einfach auch mal mit anderen Unternehmen und Unternehmern zusammenarbeiten. Mit meinen Erfahrungen, zu deren Entwicklung und Wachstum beitragen. Gleichzeitig bin ich neugierig, lernbegierig und möchte von der Vielfalt und Flexibilität, die sich aus der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Menschen und Unternehmen ergibt, profitieren.  

Werden wir dich in Schweden nun häufiger wandern sehen können oder eher auf dem internationalen Parkett?
Wandern werde ich ganz sicher, aber nicht nur in Schweden. Derzeitig etabliere ich gerade meine eigene Consulting & Board Service Company, mit der ich unterschiedliche Unternehmen, deren Businessleaders und Teams basierend auf meiner Erfahrung unterstützen werde. Das möchte ich gerne weiterhin international tun aber eben auch verstärkt in Deutschland.

Und wie können wir dich erreichen?
Ganz einfach: Schickt eine E-Mail an Konrad.Gruess@
icloud.com.

Ingmar Behrens