So nicht, liebe Politiker!

Die Umwandlung der Berliner Friedrichstraße in eine verkehrsberuhigte Zone war schön angedacht. © SenUMVK

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Susanne Müller

Dass sich Einzelhändler nicht widerspruchslos alle Kapriolen der Politik gefallen lassen müssen, zeigt das Beispiel Anja Schröder. Als Klageführerin des Aktionsbündnisses „Rettet die Friedrichstraße“ hat die Inhaberin von Planet Wein gegen den Berliner Senat geklagt – und bisher langen Atem bewiesen. Eine Story, die von Mut, Power und Durchhaltevermögen erzählt.

Die Friedrichstraße vom Verkehr zu befreien und Flaniermeile zu etablieren, klang im ersten Moment ganz gut. „Allerdings habe ich von diesem Plan aus den Medien erfahren, das war schon mal ärgerlich“, erinnert sich Anja Schröder. „Wir kamen gerade aus der ersten Lockdown-Phase, und niemand wusste so recht, welche Auswirkungen die Stilllegung haben würde. Aber zunächst sind wir die Sache positiv angegangen.“

Das reinste Verkehrschaos

Der große Knall ließ nicht lange auf sich warten. „Am 20. August 2020 wurde die Friedrichstraße gesperrt – und wie auf Knopfdruck floss der gesamte Verkehr durch unsere Charlottenstraße. Wir sind ein reiner Gastronomie-Bereich mit elf Betrieben, bei uns gilt Tempo 30 und rechts vor links. Seit 15 Jahren bin ich bereits hier vor Ort ansässig, andere Gastronomen noch wesentlich länger – aber ein solches Chaos haben wir noch nicht erlebt! Unglaubliche 140 Prozent mehr Verkehr wurden gemessen – und das ausgerechnet, als wir wegen der Pandemie auf unsere Außenbereiche angewiesen waren. Mein Store ist nicht nur Weinhandel, sondern auch Gastronomiebetrieb.“  Um die Verhältnisse der Straßen für Nicht-Berliner deutlich zu machen: Die Friedrichstraße ist als Einkaufsmeile bekannt, die angrenzende Charlottenstraße ist Ziel der Feinschmecker, und der nahe gelegene Gendarmenmarkt dient quasi als Erholungszone.

Applaus für Wehrhaftigkeit

Anja Schröder schrieb den Senat wegen eines fehlenden Verkehrskonzeptes an. „Wir wollten uns wehren. Am 8. Oktober fand im Russischen Haus ein analoges Treffen mit Behördenvertretern, Anrainern der Friedrich- und der Nachbarstraßen sowie verschiedenen Vereinen statt. Dabei haben wir zum ersten Mal von einem Verkehrsversuch gehört. Geredet wurde viel, über Gießpatenschaften für Blumenkübel und ähnliche Belange. Da bin ich aufgestanden und habe klar und deutlich erklärt, dass wir an der Charlottenstraße im Durchgangsverkehr ersticken, während die Anwohner der Friedrichstraße wegen aufgestellter Barken und fehlender Parkmöglichkeiten Kunden einbüßen.“ Brandender Applaus folgte ihrer flammenden Rede. Und dann passierte – nun ja, lange gar nichts.

Haltlose Versprechen

„Sämtliche Versprechen der Politiker und der zuständigen Behörden haben sich als haltlos erwiesen“, moniert Anja Schröder. „Eine Folge davon war 2022 das sehr schlechte Sommergeschäft, denn zu diesem Zeitpunkt haben die Leute unattraktive Außenflächen bereits nicht mehr akzeptiert. 40 Prozent Umsatzeinbußen sind heftig und lassen sich nicht so einfach wegstecken, zumal wegen Corona niemand mehr ein finanzielles Polster hatte.“

Gemeinsam gegen die Planung

Doch Anja Schröder und ihre Mitstreiter dachten nicht ans Aufgeben. „Wir haben die großen Vereine angesprochen – den Wirtschaftskreis Mitte zum Beispiel und die IG Gendarmenmarkt, um unsere Kräfte zu bündeln. Der Ex-Innensenator und Bürgermeister a.D. Frank Henkel war uns eine große Stütze, ebenso Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. Viele Bewohner des betroffenen Viertels haben wir ins Boot geholt.“ Spätestens nachdem Frequenzmessungen klipp und klar bewiesen, dass der gesamte Nahbereich durch die Verkehrsberuhigungsmaßnahme stark benachteiligt sei, kam auch seitens der Stadt, des Bezirkes und von Oberbürgermeisterin Franziska Giffey ein gewisses Verständnis. Doch die Situation blieb unverändert übel. An der Friedrichstraße hatten mittlerweile 19 Unternehmen für immer ihre Pforten geschlossen.

Das große Aufatmen

„Da haben wir beschlossen, den Klageweg zu beschreiten“, erinnert sich Anja Schröder. „Als Klageführerin habe ich natürlich keine Alleingänge unternommen, sondern mich für alle Betroffenen stark gemacht. Das muss man sich ja auch erst einmal trauen angesichts möglicher Folgeprozesse. Ich bin Weihnhändlerin, keine Juristin, und habe völliges Neuland beschritten. Das Verwaltungsgericht hat uns Recht gegeben und den Verkehrsversuch als beendet erklärt.“ Somit war der Knoten geplatzt. „Ein richtiges Aufatmen war das“, sagt Anja Schröder. „Keine Staus mehr, Bewegung in den Straßen, ein gutes Miteinander, dem ein erfreuliches Weihnachtsgeschäft folgte, und ein noch stärkerer Januar. Das Schokoladenhaus Rausch zum Beispiel hat in diesem Monat 52 Prozent mehr kaufende Kunden registriert. Die Zeitversetzung lässt sich damit erklären, dass die Etablierung der neuen Verhältnisse etwa sechs Wochen zur Etablierung benötigen.“

Die Reaktion der Frau Jarasch

Ende gut, alles gut? Leider nicht, denn mit ihr hatten die siegreichen Kläger nicht gerechnet: Bettina Jarasch, Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Obwohl Anja Schröder durch ihre gewonnene Klage die Friedrichstraße für den MIV wieder geöffnet hatte, schloss die Politikerin sie als „Trotzreaktion“ und im Wahlkampfmodus erneut, ließ auch die entsprechenden Verkehrsschilder nicht entfernen, obwohl „kein Grund dafür mehr vorlag und das nicht rechtens war“, so Anja Schröder. „Sie hat eine Handvoll bunter Stadtmöbel hingestellt, die übrigens immer noch nicht begrünt sind, und das war’s.“

Ungeeignet als Flaniermeile

Die Chefin von Planet Wein ist sicher: „Die Friedrichstraße ist als Flaniermeile aber einfach nicht geeignet. Wegen der darunter verlaufenden U-Bahn-Schächte lassen sich dort keine Bäume pflanzen oder Wasserfontainen anlegen. Grünfassaden sind wegen des Denkmalschutzes nicht möglich. Und die umliegenden Parkhäuser mit etwa 1300 Stellplätzen sind ausschließlich über die Charlottenstraße, einer ausgewiesenen Fahrradstraße, zu erreichen – die Glinkastraße wäre als Zufahrt viel besser geeignet.“

Bereit zum Dialog

Nun steckt das Aktionsbündnis erneut im Widerspruchsverfahren, hat bereits mit dem sich neu bildenden Senat gesprochen und eine weitere Podiumsdiskussion anberaumt. „Viele Anrainer sind schon drauf und dran, zu resignieren“, sagt Anja Schröder. „Aber das ist nicht meine Natur. Wir sind jederzeit bereit zum Dialog.“

Susanne Müller