Starke Thesen beim German Council Congress

GC-Congress
GC-Congress: Klartext zwischen Brandenburger Tor und Adlon. © GCSP

Vor Ort
Diskurs

Susanne Müller

Gejammert hat die Branche genug: Jetzt ist Zeit für Klartext. So sah es der German Council of Shopping Places und lud unter diesem Motto zum Austausch in die AXICA Berlin ein. Vor beeindruckender Kulisse am Berliner Platz, zwischen Brandenburger Tor und Adlon, trafen sich rund 220 Teilnehmende.

Beim Vorabend-Event in der Akademie der Künste legte Wolfgang Kubicki, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender, in Sachen Klartext vor und sparte dabei Spitzen gegen die Ampel-Mitstreiter nicht aus. Ob E-Autos, Wärmepumpen oder Migrationsdebatte, dass sich die Ampel-Fraktionen nicht einig sind, daraus machte er kein Hehl: Gemeinsames Regieren sei extrem schwierig, da der Konsens der einzelnen Parteien zu verschieden ausfalle. „Die Kraft der Erneuerung durch Wettbewerb braucht maßgebliche Akteure“, unterstrich er. „Transformation gehört zur  deutschen Geschichte. Das Leben fließt, und Planung kann kein unverbindliches Regelwerk sein.“ Andererseits hätten viele politische Akteure in Berlin derzeit „erschreckend genaue Vorstellungen für alle Belange des Lebens“, merkte Kubicki an. Als Beispiel nannte er die Verkehrswende: „Kein Autofahrer hat in den Städten noch das Gefühl, gewollt zu sein. Das ist auch eine echte Hemmschwelle fürs Umland. Politischer Wille ist, die Cities autofrei zu gestalten – und das führt zur Verödung der Innenstädte.“

Sicherheit wiederherstellen

Mit genau null Prozent Zustimmung der Wähler laut einer aktuellen Umfrage und andererseits der Auffassung, das „beste Deutschland, das es je gab“, zu gestalten, zeige sich das mangelnde Realitätsverständnis des Konstrukts Ampel. „Massive Verluste gäben eigentlich Anlass zur Demut“, so Kubicki. „Jeder Produzent passt seine Waren an, wenn er Kritik erfährt – nicht so die Ampel.“ Und gab sich überzeugt: „Die Frage der Migration wird für den Fortbestand entscheidend sein.“ Sicherheit im öffentlichen Raum wieder herzustellen, Gefahrenzonen zu entschärfen und illegale Einwanderung zu bekämpfen, sei das Gebot der Stunde. Deutschland habe das Rezept gefunden, alle Probleme mit Geld zuzuschütten. „Wir benötigen aber grundsätzliche Veränderungen in der Wirtschaftspolitik. Das wird schmerzhaft für alle Parteien. Doch wir schaffen das – aber nur mit Mut, Begeisterung und Initiative.“

Innenstädte als Seismografen

Den eigentlichen Kongresstag, moderiert von Judith Rakers, läutete ZIA-Präsidentin Iris Schöberl mit einem Branchen-Ausblick ein. „Die Lage in Deutschland wird immer komplizierter“, stellte sie fest. „Wer will mit wem, wer stellt die Mitte dar, und was bewegt eigentlich den Rand?“ Sie warb für eine mentale Zeitenwende: „Wir müssen unseren Horizont erweitern, mehr reden, auch mit der Politik, der Wirtschaft und mit Europa. Mehr verändern.“ Das B in Brüssel dürfe nicht für Bürokratie stehen. Den Wohnungsbau verknüpfte sie eng mit dem Handel, denn bei hohen Mieten fließe weniger Geld in den Konsum. Innenstädte seien Seismografen der Gesellschaft. „Die Leute sind verunsichert. Wir müssen das Baurecht vereinfachen und forcieren, um Abhilfe zu schaffen“, forderte sie und sprach sich zudem für flexible Ladenöffnungszeiten sowie einen funktionierenden ÖPNV aus.

Zeit für neue Reformen

Mit Spannung erwartete das Plenum die Speach von Tagesthemen-Urgestein Ulrick Wickert. Der Ex-TV-Journalist und Buchautor warnte, das Ausland spräche mittlerweile hämisch über Deutschland – zum Beispiel die New York Times prangere das mangelnde bundesdeutsche Wachstum an. Seine Befürchtung: „In zehn Jahren ist der Unterschied zwischen den USA und Deutschland so groß wie jetzt zwischen Europa und Indien.“ Die letzten Reformen hätten Anfang der 2000er Jahre stattgefunden: „Unfassbar, wie Deutschland schläft – insbesondere bei der Digitalisierung“, ereiferte er sich. „Mindestens 500.000 qualifizierte Fachkräfte werden gebraucht – gleichzeitig sprechen die Leute über die Vier-Tage-Woche.“ Grundproblem sei, dass zu viele Menschen den Staat als Serviceeinrichtung zur Erfüllung ihrer Ansprüche ansähen. Und er prangerte die Regulierungswut der Behörden an. Spontanapplaus erntete Wickert für seine Aussage: „Eigentlich sollte gelten, wenn ein Antrag in sechs Wochen nicht bearbeitet ist, gilt er als angenommen!“

Unbequeme Erkenntnisse

Eine Expertenrunde mit Professor Dr. Dr. Thomas Roeb (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg), Dr. Wolfgang Merkle (UE – University of Europe for Applied Sciences) und Professor Dr. Gerrit Heinemann (Hochschule Niederrhein) widmete sich der Thematik Handel und Innenstadt. Einige Erkenntnisse: Preisaggressive Formate werden wachsen, sofern sie gute Qualität liefern. Viele Kunden empfinden den stationären Einzelhandel mittlerweile als „boring“, und den Einkauf fast so lästig wie Hausarbeit: Daher müsse Anormalität zum New Normal werden – sprich Faszination und Begeisterung. Außerdem: Hierzulande würden „zu viele tote Pferde geritten“, wie Warenhäuser, die für die Innenstädte inzwischen bedeutungslos seien. Die Bevölkerung wünsche sich eher Wohn- als Einkaufsstädte. Daher sei über neue Nutzungen der Flächen nachzudenken – wie in den Niederlanden, wo Enteignungen bei längeren Leerständen stattfänden, ehe die Cities zu Geisterstädten mutierten.

Hin zur Consumer City

Professor Dr. Tobias Just (IREBS) sah trotz sinkender Inflationsraten die Unternehmen weiter unter Druck, da die Vertragslöhne weiter steigen. „Wir müssen mit höheren Zinsen leben“, stellte er klar. Und: „Die Rückkehr zur Normalität wird mühselig. Wenig Wachstum bedeutet auch wenig Immobilien-Nachfrage.“ Wichtigster Wachstumstreiber sei der technische Fortschritt: „Diese Ressource müssen wir aktivieren, in Maschinen und Infrastruktur investieren.“ Als langfristige Faktoren bei der Entwicklung der Wirtschaft benannte Just Globalisierung, Demografie, Urbanisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. „Mixed-Use als Erfolgsmodell gab’s schon im Mittelalter“, empfahl er. „Entscheidend ist eine gute Netzwerk-Ökonomie. Wir müssen weg von der Retail- und hin zur Consumer-City, in der sich Menschen gerne aufhalten.“

Willkommen in Dodoland

Unternehmer und Autor Martin Limbeck (Limbeck Group) fragte provokant „Geht’s uns zu gut?“ Kinder ließen sich eher von den Eltern chauffieren, anstatt den Führerschein zu machen. Ärzte fänden ihre Klienten, indem sie online „Urlaub auf Krankenschein“ verordneten. „Was helfen uns Flächen, wenn die Leute nicht mehr arbeiten?“, so Limbeck. „Mit einer 35-Stunden-Woche kommen Unternehmen nicht klar. Wie oft bekommen Chefs zu hören: Das muss ich nicht machen – es steht nicht im Stellenprofil.“ Somit plädierte der Speaker ganz allgemein für mehr Selbstreflexion.

Und das gab’s sonst noch

Retail-Futurist Matthew Brown stellte weltweit erfolgreiche Konzepte vor – seine Erkenntnisse haben wir in der vorigen Ausgabe von shopping places* präsentiert. Mehr zum  Panel „Chancen im Vermietungsmarkt“ an anderer Stelle in dieser Ausgabe. Auch auf der Agenda: Im Rollentausch interviewte GCSP-Vorsitzende Christine Hager Judith Rakers zu deren Homefarming-Konzept. Unternehmer Robert Dahl stellte „Karls Erlebnis-Dörfer“ vor und kündigte an, mit den Erdbeerhöfen expandieren zu wollen. Gastronom The Duc Ngo wünschte sich – ungewöhnlich hierzulande – mehr Wettbewerb: Viele gastronomische Betriebe in einer Straße oder einem Quartier seien eine Bereicherung für die Gäste. Der German Council Congress mündete in einer Abendveranstaltung zum Austausch und Networking.

Susanne Müller