Streitfrage: verkaufsoffener Sonntag

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Handel und Immobilien
Menschen

Henning Richard Haltinner

Bis heute ist der verkaufsoffene Sonntag eine polarisierende Streitfrage zwischen Konsumenten, Gewerkschaftern, der Politik sowie dem Einzelhandel. Daher lohnt sich ein Blick aus datenbasierter Perspektive auf die Auswirkungen auf Innenstädte, wenn sonntags die Läden offen sind. Eine Untersuchung durch Whatalocation von anonymisierten Mobilfunkdaten in den sieben größten deutschen Städten zeigt, dass verkaufsoffene Sonntage das Geschäft sowie die Innenstädte beleben. Damit können sie ein wichtiger Faktor sein, den stationären Einzelhandel in der Konkurrenz mit Internethändlern zu stärken.

Eine neue Umfrage des internationalen Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt, dass es vor allem 18- bis 29-Jährige (48 Prozent) präferieren, an sieben Tagen in der Woche die Möglichkeit wahrnehmen zu können, einkaufen zu gehen. Ein geringeres Interesse an einem derartigen Angebot besteht demnach in der Altersgruppe 60 plus: Lediglich 36 Prozent teilen den Wunsch der jüngeren Generation. Die aktuelle Analyse von Whatalocation zeigt jedoch eine überraschende Tendenz im Hinblick auf die Altersverteilung an verkaufsoffenen Sonntagen: Passanten, die 60 Jahre oder älter sind, weisen nicht nur das größte Wachstum bei den Besucherzahlen, sondern auch die größte Aktivität im Vergleich zu früheren verkaufsoffenen Sonntagen auf. Warum aber ergeben die Daten eine so dynamische Verschiebung der Altersgruppen, wenn sich laut Umfrage die jüngere Altersgruppe primär von der zusätzlichen Möglichkeit des Einkaufens angesprochen fühlt? Ein Shopping-Angebot, das nicht ausgewogen genug für diese Zielgruppe ist, könnte eine mögliche Erklärung dafür sein. Für eine gründliche Erklärung dieser Diskrepanz ist in jedem Fall mehr Nachforschung notwendig.

Nicht zuletzt ist auch die mentale Einstellung zum verkaufsoffenen Sonntag entscheidend für dessen Erfolg. Besonders jüngere Generationen, allen voran die Generation Z, sind bereits mit der Schnelllebigkeit und den Normen der globalen Welt groß geworden. So gehört es in zahlreichen anderen Ländern zum Alltag, dass Einkaufszentren und Supermärkte durchgehend geöffnet haben. Der örtliche Einzelhandel steht zudem im starken Wettbewerb zum Online-Handel. Dieser bietet zumeist nicht nur beim Ort des Einkaufes maximale Flexibilität für die Verbraucher, sondern auch bei den Zahlungs- und Versandmöglichkeiten sowie kostenlosen Rücksendungen von Produkten.

Besucheraktivität steigt um knapp die Hälfte an verkaufsoffenen Sonntagen


Eine Befragung der Mitglieder des  Baden-Württembergischen Handelsverban­des bestätigt das unausgeschöpfte Potenzial für den Einzelhandel: Rund 71 Prozent der Händler machten die Angabe,  an verkaufsoffenen Sonntagen deutlich mehr Umsatz zu generieren als üblich. Und auch unsere Erhebungen vor, nach und während dieser Tage zeigen: Die Aktivität am verkaufsoffenen Sonntag ist um durchschnittlich 48,5 Prozent höher als an normalen Sonntagen mit geschlossenen Geschäften. In den meisten Fällen konnte sogar festgestellt werden, dass der eigentliche Anlass, der eine Öffnung gesetzlich rechtfertigt – also beispielsweise ein Stadtfest –, zu weniger Aktivität auf den Straßen führt als in der Einkaufsmeile selbst.

Auch der Vergleich zum Passantenaufkommen an einem Wochentag lohnt sich: An einem verkaufsoffenen Sonntag halten sich in der Innenstadt 28 Prozent weniger Besucher auf als an einem durchschnittlichen Wochentag. Dabei ist zu beachten, dass der Besuchsgrund am Sonntag eher auf den Konsum fokussiert ist und weniger auf einen Aufenthalt im örtlichen Büro.

Besuchermagnet Shopping-Meile?

Derzeit besteht keine einheitliche bundesweite Regelung zur Öffnung des Einzelhandels an Sonntagen. Die Entscheidung über Öffnungsdauer und Verteilung innerhalb des Jahres ist abhängig vom Bundesland, der Stadt oder der Kommune. Ursprünglich waren vom Gesetzgeber vier Tage pro Jahr im Kontext eines entsprechenden Anlasses, wie einer Messe oder einem Straßenfest, zulässig. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Berlin und Brandenburg öffnen den Einzelhandel am siebten Wochentag sogar sechs bis elf Mal im Jahr. Laut  einer Umfrage des Baden-Württembergischen Handelsverbands unter seinen Mitgliedern soll der Anlassbezug verkaufsoffener Sonntage sogar gestrichen oder zumindest gelockert werden.

Ab 2021 zeichnet sich ein Trend zu mehr Aktivität in den Shopping-Meilen und weniger auf den Veranstaltungsflächen des entsprechenden Anlasses ab. Mögliche Erklärungen sind einerseits die pandemische Vorsicht der Passanten und andererseits, dass für die Bevölkerung die zusätzliche Möglichkeit zum Einkaufen eher ein Innenstadt-Magnet ist als das zeitgleich stattfindende Event. Doch um in diesem Fall einen eindeutigen langfristigen Trend zu identifizieren, sollten die Daten in Zukunft weiter beobachtet werden.

Entwicklung der Verweildauer bestätigt die Annahme des verkaufsoffenen Sonntags

Neben der Besucherzahl zeigt die Untersuchung von Whatalocation auch die Verweildauer der Besucher und konnte feststellen, dass typische Konsumentenbesuche (60 bis 120 Minuten) vor und nach der Pandemie ein außerordentliches Wachstum zeigen. Im Durchschnitt war der Anteil an den längerfristigen Besuchern an einem verkaufsoffenen Sonntag um bis zu 4,2 Prozent höher als an einem Werktag der gleichen Woche. Im direkten Vergleich zu einem »geschlossenen Sonntag« verzeichnet der verkaufsoffene Sonntag sogar 22,9 Prozent mehr Besucher, die mindestens 60 bis 120 Minuten Zeit,in der Innenstadt verbringen.


Ein Beitrag von
Henning Richard Haltinner,
Founder & CEO, Whatalocation

 

Die Aktivität wurde in den Städten gemessen, in denen während der Pandemie verkaufsoffene Sonntage stattfanden.

Die Auswertung konnte nur in den Städten vorgenommen werden, wo eine klare räumliche Trennung von Einkaufsstraße und Veranstaltungsgebiet vorgenommen werden konnte.