Top-Event der Branche

Handelsimmobilienkongress
Volles Haus beim Handelsimmobilienkongress in Berlin. © Jörn Wolter/HIK

Vor Ort
Tacheles

Giovanni Giampetri

Der Einzelhandel sei im Aufschwung und eine attraktive Investition, so Moderatorin Anja Heyde zum Auftakt des Handelsimmobilienkongresses 2024 in Berlin. Als Gastgeber des Top-Branchenevents war neben dem German Council of Shopping Places (GCSP), dem EHI Retail Institute und dem Handelsverband Deutschland (HDE) erstmals auch der Zentrale Immobilien Ausschuss Deutschland (ZIA) an Bord – und somit die geballte Power des Retails und der Immobilienwirtschaft. Die Viererkonstellation groovte sich auf Anhieb ein und mobilisierte rund 320 Gäste.

Eingangs des „großen Klassentreffens“, wie Heyde formulierte, setzten Vertreter des Veranstalter-Quartetts Schlaglichter. „Wir haben noch eine schwere Zeit vor uns“, sprach Michael Gerling vom EHI Klartext. Auch Aygül Özkan vom ZIA prophezeite: „2024 wird ein straffes Jahr.“ GSCS-Vorsitzende Christine Hager schloss sich dem an, hegte jedoch Hoffnung angesichts der guten Performance klassischer Geschäftshäuser. „Es gibt einen Lichtblick“, so auch HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Ein Zusammenrücken und gemeinsames Agieren sowie ein einheitlicher Standpunkt in der Politik sei unabdingbar, so das Fazit. Dies sei auch Ziel des HIK, wenn die „Familie“ zusammenkomme, sagte Christine Hager. Genth lobte das gewachsene Vertrauen und die Kooperation der Branchenakteure.

Herausfordernde Marktsituation

Als Einstieg in die Materie skizzierte Stefan Genth das schwierige Marktumfeld des stationären Einzelhandels unter dem Einfluss von Störfeuern wie dem Ukraine-Krieg und dem Nahost-Konflikt, dem veränderten Kaufverhalten, geopolitischen Risiken und der schwachen Konsumlust. Zahlen untermauern seine Einschätzung: So haben zwischen 2020 und 2023 41.500 Geschäfte geschlossen. Von 2010 bis 2019 belief sich die Zahl der Geschäftsaufgaben auf „nur“ 9000. Für 2024 schätzt Genth ein weiteres Minus von 5000 Betrieben. Trotzdem bleibe der Handel eine attraktive Nutzungsart, wobei Lebensmittler wieder vermehrt in die Innenstädte strebten, führte er aus. Als Beispiele für attraktive Ladenkonzepte nannte er Kösters in Münster und MISTER SPEX in Köln.

Geywitz beschwört Austausch

Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, sah einen positiven Trend bei der Verbraucherstimmung aufgrund sinkender Inflation. Die SPD-Politikerin strich die Wichtigkeit eines regelmäßigen Austauschs und die Förderung durch Steuergelder heraus, um Städte vielfältig zu gestalten. Die Neugestaltung des öffentlichen Raums sei essenziell, ebenso wie die Umgestaltung von Galeria-Standorten in Mixed-Use-Konzepte, um den Innenstädten neues Leben einzuhauchen.

Krisen häufen sich

Jürgen Michels beleuchtete die Wirtschaftskrisen seit 1951 und betonte, dass Deutschland sich meist schnell erholt habe. Jedoch würden die Krisen häufiger und dichter werden, was die Erholung erschweren würde. Er sah eine Verbesserung der Weltwirtschaft und einen deutlichen Renditeanstieg bei Einzelhandelsimmobilien in Europa.

Podium um Innenstädte

Iris Schöberl (ZIA) berichtete über starke Performance-Werte im Mietvolumen und eine hohe Vermietungsrate. Joanna Fisher (ECE) erläuterte, dass Handel Emotion ist und Investoren positive Entwicklungen sehen wollen. Mark Rauschen (L&T) sprach über die Fokussierung auf Zielgruppen und die Wichtigkeit von Entertainment- und Wellnessangeboten. Thomas Kuhlmann (Hahn-Gruppe) hob die Bedeutung der Individualisierung jedes Standorts hervor. Zukunftsbilder für Innenstädte entwarf Ricarda Pätzold, Bereichsleiterin Stadtentwicklung, Recht und Soziales beim Deutschen Institut für Urbanität: Sie stellte die Idee der 15-Minuten-Stadt vor, in der alle wichtigen Einrichtungen innerhalb einer Viertelstunde erreichbar sind. Die Innenstadt solle ein lebendiges Zentrum bleiben, in dem viele Akteure zusammenwirken.

Spannende Einblicke

Kim Lautrup (NPV) und Kerstin Rapp-Schwan (Schwan Restaurants) unterstrichen die Bedeutung von Mut und Zusammenarbeit, um die Innenstädte zu retten. Carsten Horn (C&A) sprach über eine ausgeglichene Neuanmietung und die Bedeutung der Innenstadt für C&A. Das Unternehmen setzt auf die Omnichannel-Strategie und investiert sowohl in Stores als auch auf Online-Ebene. Nikolaus Möller (EBS) und Johann Woronzow (Bots4You GmbH) diskutierten über die Rolle der KI und Digitalisierung bei der Transformation der Immobilienwirtschaft. Sie hoben hervor, wie KI-gestützte Technologien interne Prozesse effizienter gestalten könnten.

Umnutzung von Handelsimmobilien

Nina Hangebruch von der Landes- und Stadtentwicklungsforschung GmbH präsentierte erfolgreiche Nachnutzungen ehemaliger Warenhäuser. Für 31 von 45 Galeria-Standorten wurde ein Folgekonzept beschlossen, während 14 noch ungenutzt sind. Ein Beispiel für gelungene Neupositionierung ist das Marktquartier in Recklinghausen, das jetzt Seniorenwohnen, Pflege, Hotel, Büros, Gesundheitseinrichtungen, Kita, Gastronomie und Nahversorgung vereint. Mixed-Use-Immobilien fördern, so Hangebruch, eine belebte Innenstadt und bieten Potenzial für Photovoltaikanlagen und öffentlich zugängliche Flächen. Harald Ortner von HBB diskutierte die Schwierigkeiten bei der Umnutzung großer Handelsimmobilien. Oft sei ein Abriss nötig, da alte Warenhäuser energetisch problematisch seien: Hohe Baukosten und Zinsen sowie fehlender Bedarf in kleineren Städten erschweren die Nachnutzung. Gesetzliche Hürden verlangsamen den Prozess, weshalb laut Ortner eine Beschleunigung durch digitale Bauanträge wünschenswert ist.

Mixed-Use-Immobilie trifft Realität

Elisabeth Jander von MEAG MUNICH ERGO unterstrich die Bedeutung regionaler Partner für die Mietentwicklung und den Einbezug örtlicher Projektentwickler für eine erfolgreiche Vermietung. Astrid Linn von der Stadt Lünen hob hervor, dass man die lokalen Gegebenheiten und Akteure kennen müsse, um proaktiv und gemeinsam handeln zu können, da die Stadt allein oft überfordert sei. Dr. Kevin Meyer von Midstad zeigte das enorme Potenzial von Innenstadtlagen auf – unter der Voraussetzung, dass Städte die Bedürfnisse der Menschen verstehen: Kleine Kommunen könnten durchaus erfolgreich sein, wenn sie nicht viel investieren müssen, da sonst die Wirtschaftlichkeit leide. Harald Ortner von HBB sprach über die Vorteile der Zusammenarbeit mit kleinen Mittelstädten, weil diese oft kooperativer und effizienter sind. Joachim Stumpf von BBE Holding GmbH stellte fest, dass es immer mehr interessante Nutzungen gibt, obwohl der Anteil des Handels zurückgeht. Dennoch sieht er Licht am Ende des Tunnels.

Positives Fazit

In der Quintessenz des ersten Tages zeigte sich Stefan Genth optimistisch, dass die Verbindung mit der Kommune gelingt und weitere Entwicklungen in den Innenstädten möglich sind. Aygül Özkan legte den Teilnehmenden ans Herz, dass man nicht nur in einzelnen Immobilien denken, sondern kuratieren solle, was gebraucht wird. Sie setzt auf eine stärker digitalisierte Immobilienwirtschaft. Christine Hager dankte dem Programmbeirat und zeigte sich rundum zufrieden mit der ersten Veranstaltungsrunde. Michael Gerling sprach von vielen positiven Aspekten und einem großartigen Tag.

Award „Stores of the Year“

Highlight am ersten Abend war die Verleihung des Awards „Stores of the Year“ für besonders einfallsreiche Konzepte. In der Kategorie Fashion wurde Breuninger in München ausgezeichnet, in der Sparte Food Akzenta am Phoenixsee in Dortmund. Die Auszeichnung im Bereich Home & Living ging den Flagship-Store von Bettenrid an der Münchner Theatinerstraße, im Bereich Concept Store an Apropos Berlin. Out of Line wurde das Musikhaus Thomann in Burgebrach-Treppendorf nahe Bamberg ausgezeichnet. Den Sonderpreis erhielt der Globetrotter RE:THINK Store in Bonn.

Präsidentenrunde zum Einstieg

Eine Präsidentenrunde läutete den zweiten Tag des Spitzenevents ein. Dr. Alexander von Preen (HDE) sprach über die Renaissance des stationären Einzelhandels, Iris Schöberl (ZIA) forderte weniger Bürokratie, und Christine Hager (GCSP) hob die Bedeutung der Gastronomie hervor. Im Anschluss folgten Inspirationen zum Thema zukunftsfähige Handelsimmobilien: Martin Auer und Anatol Schmid (dm) präsentierten nachhaltige und innovative Baukonzepte, betonten aber auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Vermietern und Behörden.

Nachhaltigkeit und LEH

Zum Megatrend Umweltschutz referierten Birgit Georgi (HDE) und Jelena Nikolic (Klimaschutzoffensive des Handels) über die Notwendigkeit von Klimaanpassungen für nachhaltige Handelsimmobilien. Sebastian Schels (RATISBONA) forderte mehr Holzbau und Ideenvielfalt, während Fabian Stölzle (ILG) langfristiges Denken bei Immobilien in den Fokus stellte. Susanne Gehle (Kaufland) und Philipp Lueg (REWE) beleuchteten neue Wege der Lebensmittelversorgung und stellten innovative Konzepte wie Pick & GO und Lieferdrohnen vor.

Nur gemeinsam erfolgreich

Stefan Genth, Marco Atzberger und Michael Busch fassten die Ergebnisse des zweiten Tages zusammen und unterstrichen erneut die Bedeutung der Kooperation und Kommunikation für die Zukunft des Handels. GCSP-Generalsekretär Ingmar Behrens beschwor noch einmal das Sinnbild der großen Retail-Familie herauf, die nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Unterm Strich präsentierte der Handelsimmobilienkongress 2024 eine Vielfalt innovativer Ideen und zukunftsweisender Konzepte für den Einzelhandel und die Innenstädte.

GCSP NeXtGen Mitglied
Giovanni Giampetri
Junior Leasing Manager / Regional Tenant Management East
Leasing Services ECE