Zwischen Hindenburg, Pippi-Langstrumpf und Elly Beinhorn

KaDeWe, Berlin
KaDeWe, Berlin © Pixikus – pixabay.com

Handel und Immobilien
Fair Future

Prof. Dr. Thomas Beyerle

Die Immobilienwirtschaft tut sich schwer mit der Namensgebung von Quartieren, Gebäuden oder Einkaufszentren. Einen Bezug zu Nutzung, geographischer Verortung oder gar Iconisierung stellen die wenigsten Bezeichnungen her. Dabei kann vom richtig gewählten Namen eine enorme Sogwirkung ausgehen. Sollte eine Umbenennung sinnvoll sein? 

Gehen wir 12 Jahre zurück – die Geburtsstunde einer der am häufigsten zitierten Masterarbeiten in den beiden letzten Dekaden. Es war die Masterarbeit der Lehramtsabsolventin Julia Kube. Sie hatte damals 2000 Lehrer online zu ihren Namensvorlieben und den zugehörigen Assoziationen befragt. Darunter Fragen wie: Welche Vornamen würden Sie Ihrem Kind auf keinen Fall geben? Nennen Sie Namen, die bei Ihnen Assoziationen zu »Verhaltensauffälligkeit« hervorrufen. In einem zweiten Schritt ließ Kube die Lehrer dann vorgegebene Namen bewerten. Die Grundschullehrer der 500 ausgewerteten Fragbögen – das wissen wir heute – urteilten nüchtern: Die Höchststrafe für Kinder lautete nach Ansicht der Grundschulpädagogen Kevin. Er führte die Rangliste der unbeliebten Namen an, galt als verhaltensauffällig und leistungsschwach. Eine – anonym gebliebene – befragte Lehrerin kommentierte: »Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose«. Danach waren Eltern sensibilisiert ob der Folgewirkungen und verhielten sich selbst verhaltensunauffällig. Erst im Corona-Jahr 2020 kam es – nach neunjähriger Stagnation – zu einer leichten Verschiebung im Namensranking: Ben und Emma sind vom Thron gestoßen worden, Noah und Mia übernahmen das Zepter. Ein Flashback der 60er und 70er Jahre als es immer mehrere Christians, Michaels, Andreas & Thomase in den Klassen gab, analog Stephanie, Katrin, Nicole, Sandra.

Naming & Branding bei Immobilienprojekten – eine oligopolistische Sache

Auch Immobiliendeutschland tut sich schwer mit der Namensfindung – alle gefühlt ähnlich. Sei es bei Shopping Centern, 1a-Lagen (wie heißen eigentlich die 1b-Lagen?), bei Baugebieten oder Immobilienprojekten. Mag sein, dass man erst in der Übersicht wirklich aufhorcht:
→ Aktuell bietet dieses Land bei (Wohn-)Projektentwicklungen 27 »Palais«, 42-mal die »Terrasse« und 97-mal den »Garten« an. Was gleichwohl folgt sind 184-mal Kunst- bzw. aus historisch-geographischen Gegebenheiten abgeleitete, oftmals anglisierte Namen.
→ Bei Shopping Centern dominieren dagegen das »Center«, die »Arkaden«, das »Zentrum« beziehungsweise »Forum« und mit deutlichem Abstand dann die »Höfe«. Und obwohl es kaum »Malls« dem eigentlichen Namen nach kaum gibt (prominente Ausnahme mit Blick auf die touristisch-internationale Klientel »Mall of Berlin«), setzt sich der Begriff »Mall« vor allem im allgemeinen Sprachgebrauch immer stärker durch. Ein Gattungsbegriff á la Tempo scheint auf dem Vormarsch zu sein im urbanen Shopping-Erlebnis, das auch noch leichter über die Lippen geht.  

Lokale Verortung verhindert Gesichtslosigkeit

Dienen diese Objektnamen der Identifikation, Individualisierung und damit Preispositionierung? Wahrscheinlich ja, blickt man die vergangenen sechs Jahre zurück. Vielleicht sind auch die internationalen Kapitalmärkte »schuld«. Gemeint sind damit weniger die globalen Kapitalströme, sondern die Nachfrager, die Zielgruppen wurde ja auch internationaler. Doch das »High-end Urban Leisure-Shopping Premium Mall-Konzept« stagniert, die Fokussierung auf das Segment »Erlebnisshopping« rückt in den Mittelpunkt der Entwicklungen der kommenden Jahre. Und da ist Kreativität gefragt – vielleicht schon bei der B-Plan-Aufstellung. Denn Quartiers-, Straßen-, Wohnviertel- und Objektnamen wirken genauso prägend, wie wir es aus dem Wohnsegment kennen, ein Nussbaumboden, die Hightech-SmartHome-Ausstattung und High-Tech-Küche, also preissensitiv beim Nachfrager. Standort- und objektdifferenzierende Merkmale werden gerade in den Innenstädten eher nivelliert als herausgehoben. Familiennamen, die für den traditionellen Facheinzelhandel stehen, ragen dabei deutlich aus der Masse heraus. Dabei können Objektnamen Identifikation, Individualisierung und damit Preispositionierung deutlich unterstützen. Die Identitätsstiftung bei Immobilien ist wertschaffend.

Im Mittelsegment wird in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Wohnbauprojekten in den Innenstädten und auf den oberen Etagen der klassischen Warenhäuser in den 1a- & 1b-Lagen auf den Weg gebracht. Dabei sollte dieser Aspekt der Identitätsstiftung unbedingt stärker berücksichtigt werden. Denn die sich verschärfende Wettbewerbssituation auf den Immobilienmärkten führt durch die Anwendung von intensiver Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu einem Immobilienmarketing, dessen Fokus auf einen kurzfristigen Vermarktungserfolg – leider – ausgerichtet ist. Die Anwendung von Branding-Strategien in der Immobilienwirtschaft und Architektur spielt bis dato eine untergeordnete Rolle. Oftmals beginnt es bei der sogenannten Adressbildung, den Straßennamen. Ein Westenhellweg in Dortmund nach Jahrhunderte langer Handelsnutzung umzubenennen, ist wahrscheinlich genauso irrational wie eine Mönckebergstraße in Hamburg, eine Königstraße in Stuttgart oder die Kaufinger Straße in München.

Instagram & Innenstädte – eine Symbiose?

Die Hauptstraße, die Schulstraße und die Gartenstraße bilden deshalb nicht von ungefähr die TOP 3 der Straßennamen in Deutschland. Das zweifelsfrei zu begrüßende explosionsartige Aufkommen von Frauennamen für Baugebiete oder Projektvorhaben, die Bewegung zum Re-Naming vermeintlich zeitgeist-konform in Mitleidenschaft gezogener Persönlichkeiten aus der Geschichte – »Hindenburg« – oder den unfreiwilligen Fokus auf Pflanzen & Tiere, weil so schön unpolitisch – zeigt, dass von Namen immer eine Identifikation und letztlich eine Wertverortung ausgeht. Nur weil Pippi-Langstrumpf positiv-anarchistisch besetzt ist und Elly Beinhorn eine für die damalige Zeit sehr populäre deutsche Fliegerin und Stil-Ikone war, kann dies eher mit dem Landen eines Ufos in einem Raum gleichgesetzt werden, denn mit einem lokalen Bezug oder gar Identitätsstiftung. Eine lokale Verortung (Einkaufsstraßenname) oder ein Bezug müssen hergestellt sein, um  Gesichtslosigkeit zu verhindern. Einfacher formuliert: Straßenname im Einzelhandel schlägt Objektname (auch um es im Navi besser zu finden).     

Doch was Jahrzehnte eher träge daherkam – Straßennamen ändern sich nach 1945 erst wieder mit der deutschen Einheit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR – gerät durch die digitale, Smartphone fokussierte Welt zunehmend in schnellere Umdrehungen. Mit der sogenannten Instagramability kommt Bewegung in die Sache: Branding trifft auf Baukultur. Stil-Ikonen werden geschaffen, aus dem Bürosegment sind dabei anzuführen etwa der »101« in Taipei. Aber auch Shopping Center/Kaufhäuser, etwa Mall of Scandinavia / Stockholm, Westfield London / Shepards Bush und ihre Mieter finden sich, die gezielt Instagram nutzen, um Kunden auf ihre Waren und Angebote aufmerksam zu machen.

Auch Influencer im Mode- und Beauty-Bereich verhelfen Shopping Centern/Kaufhäusern mittlerweile zu höheren Zahlen an #-Beiträgen. Auffällig ist, dass Retail-Objekte mit besonderen architektonischen Merkmalen (MyZeil in Frankfurt mit ihrer Stahl-Glas-Konstruktion – sprich spektakulären Architektur) insgesamt mehr #-Beiträge generieren.

Hände weg von Anglizismen, hin zu einer lokalen Beziehung

Allerdings geht mit dieser globalen Reichweite oftmals die Lokalisierung flöten, denn »Stadt schlägt Objekt«. Ein Beispiel: Frankfurts Skyline ist ein beliebtes Fotomotiv, doch auf Instagram werden Fotos der einzelnen Objekte seltener veröffentlicht als das Gesamtbild der Skyline – mit Ausnahme von Objekten mit hohem Sightseeing-Faktor (Aussichtsplattform auf dem Main Tower), Objekte von großer internationaler Bedeutung (EZB, Messeturm und Eurotower) sowie Shopping Center (MyZeil und Skyline Plaza).

Doch die Dynamik läuft dem Markt voraus: Ein Frankfurt MyZeil, ein Millenium Tower One, ein ICOON, ein Nordkap Tower, ein Virage oder ein High Lines mag die Weltläufigkeit der Stadt am Main ausstrahlen, der Elbtower in Hamburg wird zweifelsfrei die Stil-Ikone im Norden der Republik werden. Einen Bezug zur Nutzung, geographischen Verortung oder Iconisierung stellen die wenigsten dabei her. Es mangelt in der Immobilienwirtschaft noch an Objekten, die sich als Projektionsfläche für die neuen urbanen Nachfrager & Social Media eignen. Was also tun in den Innenstädten von Pinneberg, Ludwigshafen oder Ulm? Die Antwort ist dabei nicht einfach zu geben, doch fällt bei rationaler Abwägung vermeintlich einfach aus: Es kann nur über eine historisch-lokale-geographische Verortung gehen. Die Identitätsstiftung gelingt zum einen aus den unmittelbaren lokalen Nachfragern und – sofern es sich um Orte einer höheren Zentralität handelt – aus der Region. Man kann es auch pointierter formulieren: Hände weg von Anglizismen, hin zu einer lokalen Beziehung. Regionalität schlägt Reichweite mag eine verkürzte Wiedergabe dieser Forderung sein. Die Grenze ist selbstverständlich erreicht, wenn für die »Hauptstadt« – im Sinne der mittelalterlichen Hinrichtungsstätte vor den Toren der Stadt – nach Jahren des Erlebten in einer dynamisch-kreativen Kommunikationsagentur – jetzt kann man es ja sagen – ein »Hauptstadtcenter« in einer süddeutschen Mittelstadt vorgeschlagen wurde. Historische Bildung hat auch gelegentlich seine Vorteile.  

Spektakuläre Architektur keine Garantie für visuellen Erfolg

Zwar wird in jeder bau- und immobilienwirtschaftlichen Vorlesung Wert darauf gelegt, dass »Visibi­lity« quasi Pflicht ist im Branding und Naming von Gebäuden, gerade vor dem Aspekt der damit zu erzielenden wertsteigernden Effekte. Man kann es der Branche deshalb nicht oft genug sagen: Schon vor Entstehung des eigentlichen Namings sollte definiert werden, welche lokal-regionale Außenwirkung damit erzeugt wird, welche Eigenschaften mit dem Naming assoziiert und welche Emotionen bei der Zielgruppe geweckt werden sollen.

Automatisch findet sich bei Ausschreibungen, Kommunikationspitches oder Architektenauswahl­verfahren der Vorwurf »gesichtslose Investorenarchitektur« wieder, zumal die Insta-Jünger von heute die Nutzer oder Nachfrager von morgen sind. Eine herausragende, stilprägende, spektakuläre und namensstiftende Architektur ist aber noch lange keine Garantie für den Erfolg. »The Squaire« am Frankfurter Flughafen, ein beliebter Einzelhandelsstandort an den Wochenenden nach Ladenschluss, vulgo der REWE, verfügt zweifelsfrei über derlei Attribute, doch scheitert allein an einem Aspekt: Man kann es nicht in der Gänze fotografieren, zumindest nicht, wenn man an seinem Leben hängt.


Ein Gastbeitrag von
Prof. Dr. Thomas Beyerle,
Research-Chef von Catella