Transformation der Zentren

Handel und Immobilien
Optimismus
Janine-Christine Streu
„Du bist ist immer Teil eines Gefüges“. Als mir dieser Satz vor vielen Jahren einmal zugeraunt wurde, war ich offen gestanden gerade ziemlich genervt. Irgendetwas ging nicht schnell genug, zu viele Einzelinteressen verhinderten das Vorankommen, und das Verständnis füreinander hielt sich auf allen Seiten recht in Grenzen.
Wie wahr dieser Satz tatsächlich ist, begreifen Viele, die sich mit der notwendigen Transformation der Zentren beschäftigen dürfen, erst so richtig, seitdem Pandemie, Krieg und Energiekrise die Handelsstandorte final durchgeschüttelt haben. Final, weil der einst so feste Boden des Handels- und Versorgungsmonopols der Zentren natürlich schon lange vor den eben besagten Einschlägen zu beben begann. Online-Handel und die zunehmende Ansiedlung von attraktiven Shopping Centern „auf der grünen Wiese“ kratzten schon Jahre vor dem ersten Lockdown am Lack des lange unangefochtenen It-Girls „Innenstadt“. Und ja, die Beziehung zwischen Innenstädten und Shoppingtempeln an den Stadträndern bleibt von Kassel bis Kiel eine angespannte. Bis heute betrachten insbesondere alt eingesessene Gewerbetreibende die mächtigen Riesen am Stadtrand als „fiese Heuschrecken“, die das Prinzip Innenstadt kopiert und dann um Standortvorteile – Erreichbarkeit, Parkplätze – angereichert haben. Soweit die Mär vom Pro- und Antagonisten in einer schwarz-weißen Konsumwelt.
Zwischen Feindbild und Befruchtung
Dass es auch anders geht, dürfen wir bei Kiel-Marketing im Herzen unserer Stadt schon lange unmittelbar miterleben. Als wichtiges Bindeglied zwischen Bahnhof und Fußgängerzone ist der Kieler Sophienhof ein langjähriger und verlässlicher Partner des Stadtmarketings. Oft genug konnten Aktionen für die gesamte Innenstadt erst durch die Sponsoringbeiträge des Centermanagements und des angrenzenden Karstadt-Hauses wirkungsvoll durchgeführt werden. Die Zeiten der Doppelbezuschussung sind vor dem Hintergrund der Karstadt-Entwicklung vorbei, die gemeinsame Haltung der gegenseitigen Befruchtung keineswegs. Der Perspektivwechsel ist gelernt und trägt uns auch durch eine Zeit, in der wir zunehmend um dieselben Mieter kämpfen. Während sie früher sowohl im Center als auch in der Fußgängerzone residierten, bekommt heute nur einer den Zuschlag. Wer das Nachsehen hat, ärgert sich – na klar – aber entscheidend ist, dass der Wunschkandidat überhaupt am Standort Innenstadt zu finden ist. Denn umso stärker das Gesamtgefüge, desto mehr profitieren die einzelnen Bestandteile.
Gemeinsam geht’s besser
Die Logik dieser Aussage liegt auf der Hand, und doch ist diese Haltung in der Praxis alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Was Center den Zentren im öffentlichen Raum schon lange voraus haben: Sie denken innerhalb ihrer Immobilie seit jeher im Miteinander, nicht nur aus der Perspektive eines einzelnen Geschäftes. Sie verpflichten zum Mitmachen – siehe Marketingabgabe und einheitliche Öffnungszeiten – und schaffen damit für den Kunden ein rundes Gesamterlebnis. Und: Sie haben mit dem Centermanagement eine zentrale Personalstelle, die Projekte anstößt, alles koordiniert, Ansprechpartner für alle Belange und sicher manchmal auch Seelentröster ist. Kurzum: die Personen, die gerade landauf, landab von Städten als City- oder Quartiersmanager eingestellt werden. Dass diese wie Pilze aus dem Boden schießen, ist nicht einer plötzlichen, viel zu späten Einsicht, sondern fehlenden finanziellen Mitteln geschuldet. Durch die in den letzten Jahren von Ländern und Bund lancierten Förderprogramme zur Stärkung der Zentren werden nun bundesweit Kräfte freigesetzt, die derzeit ein Best-Practice-Beispiel nach dem nächsten zur Belebung der Innenstädte und Stadtteilzentren in die zahlreichen Portale einspeisen, wie bcsd, Stadtimpulse und Stadtretter, und vor allem auf die Straße bringen. Angesiedelt sind diese oftmals im Stadtmarketing, dessen Rolle sich in den letzten Jahren stark verändert hat und um zahlreiche Kompetenzen aufgeladen wurde.
Kind kooperativer Stadtentwickler
In Kiel durften wir den Prozess, der in den meisten Städten jetzt erst so richtig Fahrt aufnimmt, schon ein wenig früher anstoßen. Unser Katalysator hieß nicht Corona, sondern Holstenfleet. Statt einer sechsspurigen Straße sollte ein künstlich angelegter Kanal die maritime Aufenthaltsqualität der Innenstadt stärken. Flankierend zum Beginn des damals äußerst kontrovers diskutierten Bauprojekts mitten im Herzen der Innenstadt entstand als Public-Private-Partnership-Maßnahme die Stelle der Innenstadtmanagerin. Es war die Geburtsstunde einer ganz neuen Liaison zwischen Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft, denn die Kosten für diese Stelle teilten sich Stadt und Eigentümer zu gleichen Teilen. Damit übernahmen Vermieter zum ersten Mal in der neueren Innenstadtgeschichte Kiels Verantwortung für den Gesamtstandort, nicht nur für die eigene Immobilie. Sie investierten in etwas, von dem sie noch nicht wissen konnten, ob es fruchten würde. Dieser Handschlag zwischen Eigentümern und Stadtspitze war ein Schlüsselmoment und hat die Tür für weitere neue Partnerschaften geöffnet. Insbesondere die Beziehung zwischen Stadtplanung, Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing konnte auf ein ganz neues Level gehoben werden, was in einem Quartiersprofilierungsprozess für die Kieler Innenstadt mündete. Diesen wiederum gestalten alle Anrainer in den neu geschaffenen Quartieren heute aktiv mit: Gewerbetreibende, Anwohner und nicht zuletzt Immobilieneigentümer.
Kiel kann Kiez – mit hyggeligem Gefühl
Kiel kann Kiez – zu dieser Überzeugung kamen wir im Sommer 2021 nach einem rund fünfmonatigen Prozess, der von dem Berliner Stadtentwicklungsbüro Belius begleitet wurde. Sechs Quartiere, sechs Profile – bei manchen wird es noch eine Weile dauern, bis das familiäre, „hyggelige“ Kiezgefühl so richtig aufkommt, manche scheinen nur darauf gewartet zu haben, ihre Besonderheit nach außen selbstbewusster kommunizieren zu können. Für Kiel-Marketing leiteten sich aus der Profilierung konkrete Handlungsaufträge für das Quartiers- und Ansiedlungsmanagement ab. Die Printversion des Konzepts war noch nicht ganz trocken, da riefen wir gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung erstmals den Wettbewerb „Kiezgröße gesucht!“ aus. Gesucht werden attraktive Nutzungskonzepte für verfügbare Flächen in der Kieler Innenstadt. Die Gewinner sparen für maximal zwei Jahre bis zu 80 Prozent der bisherigen Miete ein und bekommen so die Gelegenheit, die Nachfrage am Standort für ihre Produkte und das dazugehörige Gesamtkonzept unter leichteren Startbedingungen abzuprüfen. Ermöglicht wird dies durch die Zentrenförderprogramme von Land und Bund. Beteiligen können sich sowohl Start-up-Konzepte als auch etablierte Filialisten. Die dritte Runde läuft noch bis zum 1. November 2023.
Transformation nicht von heute auf morgen
Von der einzelnen Fläche zurück zum Center, dieses Mal am nördlichen Ende der Kieler Innenstadt. Während der Bereich dort aktuell mit den größten Herausforderungen zu kämpfen hat, sehen wir hier gleichzeitig die größten Chancen. Ein Grund dafür sind die Visionen für das Einkaufszentrum Nordlicht an der oberen Holstenstraße, die an anderer Stelle in diesem Magazin geschildert werden. Einen Satz zitiere ich schon hier: „Wir betrachten uns nicht als einzelnes Areal, sondern vielmehr als integrales Glied des gesamten innerstädtischen Gefüges.“ Die Wortwahl ist nicht abgesprochen und entlockt mir ein Schmunzeln. Da ist es wieder, das „Gefüge“, in dem jeder seine Rolle hat. Unsere wird es sein, die Akteure in den Themen Profilierung, Quartiersmanagement und Ansiedlung nach Kräften zu unterstützen. Dabei stammt eine von drei Personalstellen sowie ein stattlicher Anteil unseres Umsetzungsbudgets aus Fördermitteln. Diese laufen spätestens im August 2025 aus. Ob Kassel oder Kiel, die notwendige Transformation der deutschen Innenstädte wird in zwei Jahren nicht abgeschlossen sein. Wenn das Gefüge dann nicht auseinanderbrechen soll, braucht es eine Verstetigung der Fördermittel für Zentrenbelebung analog der verlässlichen Städtebauförderung. Um das politisch durchzusetzen, brauchen wir starke Partner an unserer Seite – auch die Handelsimmobilienwirtschaft. Es ist noch ein Stück Weg zu gehen. Den Titel dieses Magazins im Hinterkopf, sage ich: Wir bleiben optimistisch!
Ein Gastbeitrag von
Janine-Christine Streu
Leiterin Zentrenentwicklung bei Kiel-Marketing e.V.