Wahre Werte wichtiger als Warenwerte

Interview
Resilienz
Dr. Andreas Martin
Herr Striebich, haben wir einen Mietermarkt? Bestimmen die Mieter die Konditionen?
Klaus Striebich: Wenn man die Frage so versteht, dass man sich im aktuellen Marktumfeld verstärkt um seine Mieter „kümmern“ soll und muss, dann ja. Im Grunde mag ich die Diskussion um Mieter- oder Vermietermarkt nicht, denn sie drückt ein temporäres Ungleichgewicht aus oder lässt Übervorteilungen zu, die auf lange Sicht nie anhaltend und zielführend sein können.
Es bestimmen auch nicht die Mieter die Konditionen, sondern im Zweifel neue Marktmechanismen. Bislang hat Angebot und Nachfrage zu entsprechenden (Miet-)Preisfeststellungen geführt, wogegen generell nichts zu sagen wäre. Heute – und der Hauptgrund ist dafür das Fehlen einer ausgewogenen Angebot- und Nachfragesituation – werden und müssen Mietpreis eher situations- und sachgerecht ermittelt werden. Für den Handel sind aktuell Einschätzungen zu Geschäftsmöglichkeiten, Umsatzchancen und Kostenkalkulationen entscheidend, um einen für beide Seiten nachhaltigen Mietpreis zu ermitteln. Das ist arbeits- und beschäftigungsintensiv, aber im Grunde für alle Formate und Lagequalitäten umsetzbar.
Welche Mieter und Nutzungsformen haben eine Zukunft im Center?
Die Rolle der Shopping Center hat sich von einer Versorgungsfunktion („alles unter einem Dach“) hin zu einem Place to be entwickelt. So verkauft man heute weniger Warenwerte, aber umso mehr wahre Werte, wozu Essen und Trinken, Freizeit, Entertainment, Kultur, Spielen und vieles mehr gehören.
Jegliche Formate, die aktuelle Kundenbedürfnisse befriedigen können – materiell oder ideell – und die Kunden auch überraschen können, sind sinnvoll. Dabei ist es unabhängig ob international oder lokal, großformatig oder kleinflächig.
Nicht mehr wegzudenken sind Pop-Up-Formate, die zwar arbeitsintensiv für den Betreiber der Immobilie sind, aber durch ihre enorme Chance auf Angebotsvielfalt, neue Möglichkeiten der Vermarktung eröffnen. Beispiele auch in kleineren Städten oder schwierigen Lagen sind bereits mit Erfolg umgesetzt.
Auf welche Bedingungen setzen Mieter heute? Wertsicherung, reine Umsatzmiete, Sonderkündigungsrechte, Ausbau? Wie kann ein Kompromiss aussehen?
Es geht weniger um einzelne Bedingungen oder Konditionenbestandteile, sondern vielmehr darum, die gesamte Risikosituation einer Standortentscheidung managen zu können.
Die extrem schnellen Veränderungsprozesse in unserem Wirtschaftssystem, die vielen exogenen Faktoren und Schocks – leider von niemandem vorhersehbar – und auch Anforderungen aus der Politik, Verwaltung und Finanzwirtschaft müssen Chancen auf regelmäßige Anpassungen und Geschäftsmodifikationen ermöglichen. Dabei ist eine offene Diskussion, die jeweils beide Sichtweisen und Notwendigkeiten auf die Waagschale legen, notwendig und dann auch von nachhaltigem Erfolg gekrönt.
Mancherorts erlebt man aktuell eher hektische Diskussionen um Laufzeiten, einseitige Sonderkündigungsrechte oder Indexregeln, die ich unter den Faktoren Zeitdruck und Trend sortieren würde. Es gibt durchaus anwendungsfähige Mietmodelle, die es Mietern und Vermietern ermöglichen, gute und erfolgreiche Geschäfte zu betreiben. Es ist eben etwas arbeitsintensiv, diese zu erarbeiten, und man muss von lieb gewonnenen Gewohnheiten abrücken ... aber ohne dies wird es künftig nicht gehen.
Das Interview führte
Dr. Andreas Martin