Was Menschen in die City lockt

Was macht eine attraktive Innenstadt aus? © Pixabay / Michael Siebert

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Susanne Müller

Die Innenstädte befinden sich im Wandel und stehen vor dramatischen und grundlegenden Umbrüchen. Wie sehen Experten die Zukunft unserer Cities und Handelsstandorte? Dieser Frage geht die aktuelle Erhebung „cima.monitor  - Deutschlandstudie Innenstadt 2022“ auf den Grund. Und die Zeit drängt, denn nach aktuellem Stand wird nach Corona ein bedeutender Teil der Menschen unter den derzeitigen Voraussetzungen nicht mehr in die Innenstädte zurückkehren.

Laut der Experten droht ein dauerhafter Besuchsverlust von 20 Prozent, insbesondere in Kleinstädten mit bis zu 10.0000 Einwohnern. Ein Einbruch, der kaum zu verkraften wäre. Doch eine gute Nachricht macht Mut: „Der Innenstadtwandel steht so stark im Fokus wie nie zuvor“, sagt Roland Wölfel, Studienleitung und Geschäftsführer der CIMA Beratung + Management GmbH. „Und dies sowohl politisch als auch fachlich.“

Impulse zum Thema Transformation hat die CIMA in der Deutschlandstudie nach Stadtgrößen und Regionen gewichtet und entlang der Customer Journey abgebildet. Ebenfalls Gegenstand der Publikation sind konkrete Anwendungsmöglichkeiten für die Praxis. Was macht Deutschlands Innenstädte attraktiv? Welche Anforderungen stellen Bürger und Verbraucher konkret an die Stadtzentren der Zukunft? Und nicht zuletzt: Welche Angebote und Funktionen werden erwartet?

Note drei? Da geht mehr!

Generell sehen jüngere Menschen die Cities positiver als ältere Mitbürger, haben großes Interesse an diesem Thema, erläutert Roland Wölfel. Würden jedoch Schulnoten vergeben, erhielten die meisten Innenstädte eine Drei. Da geht natürlich mehr! Und so fächert er auf, welche Informationen Menschen über die Innenstadt brauchen. Allen voran die Frage: Was ist dort los – welche Events laufen, wie kann ich meine Freizeit verbringen? Ebenfalls wichtig sind Infos zum Handel: Wer hat geöffnet, welche Produkte erhalte ich, wie gestaltet sich der Service? Last but not least spielt das Parken eine große Rolle für den Innenstadt-Besuch. Um all diese Skills zu bündeln, wäre eine Innenstadt-App ideal. Dazu läuft bei der CIMA derzeit eine große Studie.

Kopplungsorientierte Standortpolitik

Ein kniffliger Punkt bei der Attraktivierung der Innenstädte ist der Verkehr – denn schließlich müssen die Leute erst einmal in den Stadtkern gelangen. Laut Roland Wölfel nutzen 41 Prozent den Pkw, weitere 56,2 Prozent den ÖPNV, das Rad oder gehen zu Fuß, und der restliche Anteil favorisiert sonstige Möglichkeiten. Kurios: In kleineren Städten bis zu 50.000 Einwohnern entsteht oft Streit um Parkplätze, da dort in der Regel wenige vorhanden sind. In Mittelstädten bis 200.000 Menschen läuft das schon besser, und bei allen Metropolen, die zahlenmäßig darüber liegen, spielt das Parken eine untergeordnete Rolle, weil dort nur noch ein Viertel der Besucher das Auto nutzt. Immerhin: 87 Prozent erreichen die Stadt in nicht mehr als 30 Minuten. Bei längeren Wegen entscheiden sich die Verbraucher gern für den Online-Kauf. Interessant und für Städte eine echte Chance: 30 Prozent verbinden ihren Einkauf mit anderen Gängen. „Das bedeutet, wir brauchen eine kopplungsorientrierte Standortpolitik – Shoppen plus Kita plus Arztbesuch beispielsweise“, so Roland Wölfel.

Sehr beliebt: die Wochenmärkte

Weiter gingen die Herausgeber der Deutschlandstudie der Frage nach, welche Nutzungen relevant sind. 55 Prozent entfallen auf den Handel, gefolgt von Grünflächen, Gas­tronomie, Sauberkeit, Aufenthaltsqualität, Parken sowie FuZos, ÖPNV, Kultur und Freizeit. Für unter 30-Jährige liegt die Bedeutung des Handels bei 35 Prozent, für bis 49-Jährige bei 24 Prozent und für die Generation 50 plus nur noch bei mageren zwölf Prozent. Bevorzugt sind die Branchen Gesundheit und Körperpflege, Nahrung und Genuss sowie Bekleidung und Schuhe. Auf qualitativer Ebene sind regionale, hochwertige, optisch attraktive Produkte nachgefragt. Hoch in der Verbrauchergunst stehen Wochenmärkte – so wie in Hanau, das den größten und schönsten seiner Art in Hessen bietet. Ebenfalls gern besucht sind Jahr- und Themenmärkte, Kino, Fitness, Musik- und Kunstevents sowie Museen und Theater. Und in der Gastro-Sparte dominieren in der Gunst der Kunden Bäckereien, gefolgt von Cafés, Restaurants und Gaststätten sowie auf Rang vier Eisdielen.

Knackpunkt stilles Örtchen

Laut Deutschlandstudie legen Innenstadt-Besucher größten Wert auf öffentliche Sanitäranlagen. Kaum verwunderlich: Gerade bei älteren Bürgern spielt dieser Punkt eine entscheidende Rolle, ist aber auch beispielsweise für Familien mit Kindern wichtig. Roland Wölfel: „Bei den Silver Agern sind es tatsächlich fehlende Toiletten, die sie vom Aufenthalt in der City abschrecken.“ Und jüngere Menschen? „Sie beklagen vor allem fehlende verkaufsoffene Sonntage und kurze Abendöffnung.“ Als ergänzende Angebote sind bei den Bürgern übrigens Ärzte und Gesundheitsanbieter gefragt, ferner Ämter, Behörden und öffentliche Einrichtungen sowie Bildungseinrichtungen. On top auf der Wunschliste stehen bei allen Generationen Sauberkeit, Sitzgelegenheiten und fußgängerfreundliche Zonen. Fast all diese Kriterien betreffen die Organisationen des öffentlichen Rechts.

Multifunktionale Orte kreieren

Sein Fazit: „Leider ist der Strukturwandel noch viel zu oft negativ konnotiert. In Anbetracht der vielfältigen Herausforderungen, vor denen unsere Städte und Gemeinden heute stehen, ist offenkundig, dass die monofunktionale Ausrichtung von Innenstadtlagen auf den Handel in Anbetracht sinkender Flächenbedarfe im Handel kein probates Mittel mehr ist, um Besucher in die City zu locken. Der Handel und Innenstädte brauchen dringend eine neue Verantwortungsgemeinschaft und zusätzliche Frequenzpartner. Dies ist ohne unterstützende Maßnahmen der öffentlichen Hand nicht zu bewältigen. Jetzt ist die Chance zum Greifen nah, Stadträume qualitativ, emotional und nutzungsorientiert aufzuwerten. Herausfordernd bleibt die Frage, mit welchen Nutzungen und Angeboten die Lücke, die der Handel als Besuchsgrund hinterlässt, zu schließen ist. Hier sind Städte, Staat, Investierende und Unternehmen gleichermaßen gefordert.“ Und Roland Wölfel ergänzt: „Regionalität und Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Statt dem Handel eine Monopolfunktion einzuräumen, sollten Stadtplaner multifunktionale Orte kreieren, auf grüne und blaue Infrastruktur setzen und Mixed-Use-Konzepte realisieren. Mega-Thema ist die klimagerechte Innenstadt.“

Download und Projektpool

Die cima.monitor – Deutschlandstudie Innenstadt 2022 steht kostenfrei unter cimamonitor.de/deutschlandstudie-innenstadt online. Wer weitere Anregungen möchte, wird unter www.stadtimpulse.de fündig. Dort gibt’s einen ergiebigen zertifizierten Projektpool zu Innenstadt, Handel und Leben.

Susanne Müller