Weniger arbeiten, mehr leisten

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Glokalisierung
Richard Haimann
Die fortschreitende Digitalisierung sorgt dafür, dass es immer weniger zu tun gibt. Um Arbeitsplätze zu erhalten, setzen Unternehmen zunehmend auf die Vier-Tage-Woche. Mit Erfolg, wie sich zeigt: Die Mitarbeiter sind nicht nur zufriedener, sondern auch produktiver. Finnland, Island und Neuseeland erwägen nun, die Beschäftigungszeit generell zu verkürzen – auch, um Massenarbeitslosigkeit vorzubeugen
Software ist ihr Geschäft, eine bessere Arbeitswelt ihre Vision: Anna Kaiser und Jana Tepe, Gründerinnen des Berliner IT-Unternehmens Tandemploy, zählen zu den deutschen Pionieren der globalen Bewegung des New Work, der »Neuen Arbeit«. Deren Ziel ist es, Menschen mehr Freiheit und Freude im Job zu verschaffen. »Wir sind fest davon überzeugt, dass Arbeit und Leben auf eine erfüllende Art zusammengehören«, sagt das Frauen-Duo.
Seit 2016 entwickelt ihr 30-köpfiges Team Programme und Plattformen, über die Unternehmen Mitarbeitende aus diversen Abteilungen für Arbeitsprozesse vernetzen können. Große Konzerne und namhafte Mittelständler zählen zu den Kunden. Kaiser und Tepe haben das erreicht, ohne dass ihre Beschäftigten von Montag bis Freitag arbeiten müssen. Die Software-Schmiede in der Spreemetropole lebt die Vier-Tage-Woche.
Zukunftsprojekt: Neuverteilung der Arbeit
Die Neuverteilung der Arbeit ist für viele junge Unternehmer die Antwort auf große Herausforderungen der Zukunft: Erst Maschinen und nun die Digitalisierung mit Robotern, Computern und dem Internet machen immer mehr Tätigkeiten überflüssig, die bislang Menschen zu Lohn und Brot verholfen haben. Das ist kein neues Problem. »Wir sollten die Arbeit, die es noch gibt, möglichst breit verteilen«, plädierte bereits 1930, auf dem Höhepunkt der Großen Depression, der britische Ökonom John Maynard Keyes für eine Reduzierung der Arbeitszeit zugunsten der Beschäftigung: »Drei-Stunden-Schichten und Fünfzehn-Stunden-Arbeitswochen könnten das Problem für eine ganze Weile beseitigen.« Sonst drohe eine massive Spaltung der Gesellschaft, von der nur radikale Parteien profitieren würden. Drei Jahre nach Keyes‘ Appell ergriffen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland.
Nicht nur beim Berliner Unternehmen Tandemploy gibt es eine verkürzte Arbeitswoche. Eine wachsende Zahl von Firmen weltweit setzt darauf, dass ihre Beschäftigten in nur vier Tagen pro Woche genauso produktiv sein können, wie in den bislang üblichen fünf Erwerbstagen. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Grazer IT-Unternehmen Bike Citizens, das Apps für Fahrradfahrer entwickelt. »Gearbeitet wird für jeweils neun Stunden von Montag bis Donnerstag«, sagt Andreas Stückl, der die Software-Schmiede 2011 gemeinsam mit Daniel Kofler gegründet hat. »Der Freitag ist frei.« Und das bei Vollzeitlohn, obwohl die Arbeitszeit nur 36 statt 40 Stunden pro Woche beträgt.
Je länger jemand arbeitet, desto besser sei das Ergebnis, laute die Annahme, sagt Kofler. »Heutzutage übernehmen aber Computer und sonstige Maschinen einen wesentlichen Teil der Arbeitsleistung; der menschliche Beitrag besteht in der strategischen Konzeption, also in einer Denkleistung, deren Qualität maßgeblich durch Kreativität bestimmt wird.« Um dies leisten zu können, müsse aber auch der Blickwinkel auf die Dinge verändert werden. »Das funktioniert nicht immer bei der Arbeit«, sagt Kofler. »Indem man den Job nicht als etwas Abgekapseltes von seinem Leben sieht, sondern Ideen auch in der Freizeit zulässt, leistet man gewissermaßen unbewusste Arbeit.«
Die starre 40-Stunden-Woche passe nicht in die moderne Arbeitswelt, sagt Tandemploy-Mitgründerin Kaiser. Stattdessen sei Flexibilität nötig. »Manche Aufgaben brauchen weniger, manche mehr Kapazitäten«, sagt Kaiser. Da die Mitarbeitenden sich in drei freien Tagen besser erholen könnten als nur über das Wochenende, sei in vier Tagen auch die Arbeit zu bewältigen, die heute üblicherweise auf fünf Tage verteilt wird. Allerdings erfordere das ein Umdenken und gute Organisation: »Wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass alle Kollegen montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr im Büro sitzen und präsent sind, braucht es klare Spielregeln und eine gute Struktur«, sagt Kaiser. Sind die vorhanden, steige nicht nur die Effizienz enorm. »Die Mitarbeitenden sind auch gesünder und glücklicher«, sagt Kaiser.
Unilever testet die Vier-Tage-Woche in Neuseeland
Das haben inzwischen auch einige Regierungen erkannt. In Finnland, Island und Neuseeland bereiten die Regierungen den Einstieg in die Vier-Tage-Woche vor. Finnlands Sozialministerin Aino-Kaisa Pekonen will in einem Test nicht nur die Arbeitszeit auf vier Tage pro Woche, sondern zudem auf sechs Stunden pro Tag begrenzen: »Bei der Erprobung sollte es vor allem darum gehen, die Auswirkungen kürzerer Arbeitszeiten auf die Arbeitsproduktivität, den Krankenstand und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer zu untersuchen.«
Neuseelands Ministerpräsidentin Jacinda Ardern sieht in der Vier-Tage-Woche eine Option, »den Inlands-Tourismus anzukurbeln und eine bessere Work-Life-Balance für Arbeitnehmer zu schaffen«. Der Inselstaat im Südpazifik lässt seit Beginn der Corona-Pandemie keine ausländischen Urlauber mehr ins Land. Das hat zu massivem Umsatzrückgang bei Hotels, Pensionen und Autovermietern geführt.
Einige Unternehmen haben bereits die Vier-Tage-Woche in Neuseeland eingeführt. Darunter die Niederlassung des britischen Konsumgüterkonzerns Unilever. Seit Dezember vergangenen Jahres arbeiten alle 81 Beschäftigten in der Zentrale in Auckland, der mit mehr als 1,4 Millionen Einwohnern größten Stadt des Inselstaats, nur noch von Montag bis Donnerstag oder von Dienstag bis Freitag. Ohne dass die tägliche Arbeitszeit von acht Stunden im Gegenzug aufgestockt oder das Gehalt gekürzt wurde. »Wenn die Beschäftigten pro Tag länger arbeiten müssten, würden wir den eigentlichen Zweck verfehlen«, sagt Nick Banks, Geschäftsführer von Unilever Neuseeland. »Wir wollen nicht, dass unser Team an den übrigen Tagen länger arbeitet, sondern dass sich die Art und Weise, wie wir arbeiten, wesentlich ändert.« Ende dieses Jahres will Unilever eine Zwischenbilanz ziehen. »Es ist ein Experiment«, sagt Banks. Die Regelung gelte zunächst nur für zwölf Monate. »Aber wir denken, dass wir in dieser Zeit einige gute Erkenntnisse sammeln können.«
Leistungsfähiger in Island
Reichlich Erfahrungen sind bereits in Island gemacht worden. Im Inselstaat im Nordatlantik arbeiten bereits seit fünf Jahren 2.500 Angestellte diverser Unternehmen für eine Studie der Regierung nur noch vier Tage in der Woche bei vollem Lohn. Das sind 1,3 Prozent der Berufstätigen im 369.000-Einwohner-Land. Die langfristige Auswertung der Daten spricht für das Konzept. »Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass durch Arbeitszeitverkürzungen die Produktivität und Leistungserbringung erhalten oder gesteigert wurde«, schreiben die Sozialwissenschaftler und Ökonomen der Denkfabrik Alda in Reykjavik, die das Projekt gemeinsam mit der britischen Researchgesellschaft Autonomy UK begleitet.
Die Regierung unter Premierministerin Katrín Jakobsdóttir erwägt nun, die Vier-Tage-Woche mit 32 Arbeitsstunden generell in Island einzuführen. Langfristig sollte »die Arbeitszeit danach noch weiter reduziert werden«, sagt Alda-Vorstandsmitglied Gudmundur Haraldsson. Nur so sei in Zukunft noch Vollbeschäftigung statt Massenarbeitslosigkeit realisierbar.
Millionen Arbeitsplätze werden wegfallen
Mit Beginn der industriellen Revolution vor fast 200 Jahren wurden zunächst immer mehr manuelle Tätigkeiten auf Maschinen abgewälzt. Dadurch sind kontinuierlich Arbeitsplätze verschwunden. Von 1844 bis 1870 erschütterten immer wieder Weberaufstände Europa. Denn die zuvor gefeierten und gut bezahlten Spezialisten wurden mit der Erfindung und Verbreitung des mechanischen Webstuhls obsolet. Heute ersetzen Roboter nicht nur zunehmend Arbeiter in Fabriken. Leistungsstarke Computer, rasantes Internet und mächtige Informationsverarbeitungsprogramme machen auch immer mehr Bürojobs verzichtbar. Weltweit werden Millionen Arbeitsplätze in der Buchhaltung, bei Back-Office-Tätigkeiten, in Kundenservice- und Callcentern in den kommenden Jahren wegfallen.
Von einem von den Arbeitnehmern nicht zu gewinnenden »Race against the machine« – vom »Wettlauf gegen die Maschinen« – warnen in ihrem gleichnamigen Buch der US-Wirtschaftswissenschaftler Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, Co-Direktor des Instituts für Digitale Wirtschaft am Massachusetts Institute of Technologie. Profitieren würden davon vor allem jene, die die Maschinen und Algorithmen besitzen, die diese Jobs übernehmen.
Ohne eine Neuverteilung der Arbeit auf möglichst viele Schultern drohe in den kommenden Dekaden eine massive Spaltung der Gesellschaft in einige wenige, die über den Großteil des Kapitals verfügen und eine breite Masse an Verarmten, die nur noch von Sozialleistungen existieren – und sich daher politisch immer weiter radikalisieren könnten. Es wäre eine Entwicklung, die auch massiv zu Lasten des Einzelhandels gehen würde, weil die Kaufkraft des überwiegenden Teils der Bevölkerung massiv schrumpfen würde.
Den 1930 in Weickelsdorf im heutigen Sachsen-Anhalt geborenen und im Mai dieses Jahres in den USA verstorbenen Anthropologen und Sozialwissenschaftler Frithjof Harold Bergmann haben diese Sorgen bereits in den späten 1970er Jahren umgetrieben. 1981 gründete er in der Automobilstadt Detroit das Center for New Work, das Forschungszentrum für Neue Arbeit, und beriet die US-Automobilindustrie, wie sie die beginnende robotergestützte Fahrzeugproduktion sozialverträglich einführen kann.
Norwegen: kürzeste Arbeitszeit, glücklichste Einwohner
In den folgenden drei Jahrzehnten entwickelte Bergmann das Konzept der heutigen New-Work-Bewegung: Durch eine gerechte Verteilung der weniger werdenden Arbeit auf alle Erwerbsfähigen könnte die soziale Spaltung vermieden und die Kaufkraft aller Bevölkerungsschichten erhalten werden. Allerdings würden in diesem Fall die Menschen nur noch ein Drittel ihrer bisherigen Arbeitszeit mit Erwerbstätigkeit füllen. Ein weiteres Drittel sollte auf soziale Tätigkeiten – von der Schüler-Nachhilfe über die Freizeitbetreuung von Senioren bis zum Natur- oder Tierschutz – entfallen. Das letzte Drittel schließlich sollte genutzt werden, um sich in eigenen Interessen und Hobbys zu verwirklichen. So hätten die Menschen »die Freiheit, mit ihrer Zeit das zu tun, was sie wirklich wollen, um glücklich zu werden«, argumentierte Bergmann.
Nicht nur die in Island in den vergangenen Jahren gesammelten Erfahrungen scheinen ihm Recht zu geben. Das US-Marktforschungsinstitut Expert Market Research hat in einer Studie den Zusammenhang zwischen geleisteter Arbeitszeit, Zufriedenheit der Beschäftigen und der Produktivität analysiert. Das Resultat: Am glücklichsten und leistungsfähigsten sind die Menschen in jenem Land, das von allen Industrienationen weltweit die kürzeste Wochenarbeitszeit aufweist: Norwegen.
Im Schnitt sind die Beschäftigten im Land der Fjorde zwar fünf Tage in der Woche tätig, jedoch jeweils nur für fünf Stunden und 20 Minuten pro Tag. Trotz der kurzen 27-Stunden-Woche erzielen sie die höchste Produktivität mit einer durchschnittlichen Leistung von umgerechnet 32,5 Euro pro Arbeitsstunde, ein Betrag, der beinahe doppelt so hoch wie in Deutschland ist. »Unsere Daten zeigen, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen einer kürzeren Wochenarbeitszeit und der Produktivität gibt«, sagt Adelle Kehoe, Chefresearcherin bei Expert Market Research. »Länder mit kürzeren Wochenarbeitszeiten sind im Allgemeinen produktiver, während Länder, in denen eine Kultur des Präsentismus und langer Arbeitszeiten herrscht, tatsächlich weniger aus ihren Teams herausholen.«
Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist