Werte des ehrbaren Kaufmanns

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Susanne Müller

Shake Hands – und top, ein Gentlemen-Agreement ist verbindlich in der Geschäftswelt. Der ehrbare Kaufmann ist der Tradition behaftet und pflegt seine Werte, steht loyal zu seinen Kunden und seinem Umfeld. Ein Leitbild für den Wirtschaftskreislauf, das schon im Mittelalter fußt. Welche Scheibe können sich moderne Retailer davon abschneiden? Professor Dr. Werner Reinartz von der Universität zu Köln gibt Einblicke.

Gerühmt wurden einst die praktischen Fähigkeiten des Kaufmanns – Schreiben, Rechnen, Sprachen, Gewinnstreben, Menschenkenntnis, Organisationstalent, Weitblick. Das klingt fast wie eine Stellenausschreibung für Top-Manager von heute. Vertrauen zu schaffen, Höflichkeit zu pflegen, Ordnung zu halten und die Kultur zu fördern – kurzum: den sozialen Frieden in der Stadt zu untermauern – galten seit jeher als die klassischen kaufmännischen Tugenden. Der ehrbare Kaufmann gehört zum europäischen Bürgertum einfach dazu. Ist er aber ein Idealbild oder gar ein Phantom?

Geschäftserfolg geht mit Verantwortung einher

Keineswegs, sagt Professor Dr. Werner Reinartz. „Das Narrativ des ehrbaren Kaufmans, auch wenn es einem als oberflächlich oder aus der Zeit gefallen vorkommen mag, hat eine viele Jahrhunderte alte Tradition. Die Idee findet ihre Anfänge im mittelalterlichen Italien und dem norddeutschen Städtebund der Hanse. Der Grundgedanke ist, dass wirklicher Geschäftserfolg immer langfristig angelegt ist und mit gesellschaftlicher Verantwortung einhergeht. Diese gründet wiederum auf moralischen Wertvorstellungen und akzeptierten Verhaltensnormen. Zu diesen Werten und Normen gehörten traditionell Sparen, Fleiß, Betriebsamkeit, Ordnung, Entschlossenheit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Was davon heute noch gilt, muss jeder für sich festlegen, aber es erscheint mir, dass die Debatte um Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) vieles von dem Leitbild wieder aufgreift.“

Opportunisten ziehen irgendwann den Kürzeren

Historisch drehe sich alles um die Themen Vertrauen und Fairness, führt Professor Dr. Reinartz aus. „Im Kern geht es darum, dass typische Verkäufer-Käufer-Beziehungen asymmetrisch sind. Das heißt, der Verkäufer hat praktisch immer einen Informationsvorteil über das Produkt gegenüber dem potenziellen Käufer. Das könnte man ausnützen, wobei dafür natürlich auch entsprechende Handelsgesetze geschaffen wurden. Davon abgesehen wird es einem kurzfristig und opportunistisch orientierten Kaufmann nie gelingen, eine positive Reputation aufzubauen. Diese ist aber Voraussetzung für langfristigen geschäftlichen und gesellschaftlichen Erfolg. Zu diesem Zweck hat sich der Rückgriff auf etablierte Werte und Normen äußerst bewährt – welche tatsächlich mit den Prinzipien des ehrbaren Kaufmanns eine substanzielle Überschneidung haben.“

Und das sei bis dato so, meint der Retail-Kenner. „Individuen und Unternehmen bewegen sich bis heute in dem Spannungsfeld von kurzfristigem – und persönlichem – sowie langfristigem Erfolg nebst gesellschaftlicher Verantwortung. So unterwerfen sich zum einen heute immer mehr Unternehmen freiwillig einem so genannten Code-of-Conduct, der auch explizit nach außen kommuniziert wird. Gleichzeitig ist die Welt immer noch viel zu voll von opportunistischem Verhalten wie die Cum-Ex-Bankenskandale oder das teilweise unerträgliche, aber ach so populäre Greenwashing, um nur zwei Beispiele zu nennen.“

Unternehmen werden am Standpunkt gemessen

Nun ja, das Mittelalter ist lange passé, und auch die altehrwürdige Hansetradition ist nicht zwingend jedem Projektentwickler oder Center-Betreiber im Kopf, ganz zu schweigen von Filialleitern und deren Mitarbeitern. Reinartz transportiert das Gedankengut in die heutige Zeit. „Ethik, Nachhaltigkeit, CSR – die Prinzipien des ehrbaren Kaufmanns kommen in vielen unterschiedlichen Gewändern. Egal welches Vokabular gewählt wird, das Allermeiste ist und bleibt zeitgemäß. Unternehmen, Marken und Manager werden zunehmend daran gemessen, welchen Standpunkt sie in einem größeren gesellschaftlichen Kontext beziehen. In anderen Worten, wie wird durch unternehmerisches Handeln die Welt besser – ohne die Gewinnerzielung aus dem Auge zu verlieren. Die Ansprüche von Verbrauchern und auch der Gesellschaft steigen dahingehend, dass von Marken und Unternehmen zunehmend eine Position und ein Standpunkt erwartet werden. Dieser Standpunkt kann vielfältiger Natur sein – sei es zu einer nachhaltigen Produktion, zu einer fairen Behandlung aller Wertschöpfungskettenteilnehmer, Bildung – auch beruflich, Gleichbehandlung, gesellschaftlicher Integrität, zu Umweltgesichtspunkten und vielem mehr. Dem erfahrenen Betrachter wird diese Diskussion nicht ausnahmslos neu vorkommen, da es gerade in Deutschland viele gute historische Beispiele gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmern gab, wie Alfried Krupp, Ernst Abbé oder Robert Bosch.“

Konsequenzen gut bedenken

Rückbesinnung auf die Tugenden der Kaufmannschaft – das steht auch Retail-Projektentwicklern oder Managern großer Unternehmen gut zu Gesicht. „Vertrauen kommt zu Fuß, aber entfernt sich zu Pferde“, zitiert Professor Reinartz. „Dieses holländische Sprichwort trifft den Kern sehr gut.  Gerade Entscheider im Immobiliensektor, die ja mit langfristig angelegten Investments arbeiten, dürften wenig Mühe mit dem Prinzip haben. Das Prinzip, durch Verhalten, Normen und Werte Langfristigkeit und Solidität zu praktizieren, ist so alt wie das Wirtschaften selbst. Bei Zweifeln zu einer bestimmten Handlungsweise rate ich jedem Entscheider, darüber nachzudenken: Was denkt meine Familie, wenn die Konsequenz meiner Entscheidung morgen auf der ersten Seite der Zeitung beschrieben steht?“

Susanne Müller