Wie geht’s der Gastronomie?

Hamburger St.-Pauli-Fischmarkt
Immer nice zum Relaxen: die Terrasse des ÜberQuell am Hamburger St.-Pauli-Fischmarkt © Henning Angerer

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Susanne Müller

Wie gut oder schlecht geht’s der Gastronomie? Berichtet wird viel – und meist nichts Positives. Auf den Abgesang der Branche mögen sich Kerstin Rapp-Schwan und Patrick Rüther von tellerrand consulting indes nicht einlassen. Denn die beiden Vollblut-Gastronomen haben weit mehr als nur Durchhalteparolen zu bieten.

Wie geht es inzwischen der Gastro-Branche? „Naja – nach zweieinhalb Jahren Corona-Einschränkungen, die massiv auf unserem Rücken ausgetragen wurden, und angesichts der aktuellen Kostenexplosion ist die Branche natürlich ängstlich und verunsichert“, beschreibt Kerstin Rapp-Schwan den Status Quo zum Jahresende. „Auf dem Papier sind die Umsätze grundsätzlich gut. Aber die gestiegenen Anforderungen an die Arbeitsorganisation belasten natürlich die Psyche.“

Hinzu kommt die Angst vor der kalten Jahreszeit – nicht zuletzt vor Kündigungen von Stromverträgen, aber auch vor der Konsumflaute. „Vorsorglich verzichten die Menschen wegen der hohen Energiepreise auf Extraausgaben, und schlechtes Wetter tut saisonbedingt ein Übriges dazu. Viele Restaurantbetreiber hoffen jetzt auf das Vorweihnachtsgeschäft“, sagt Patrick Rüther. Kerstin Rapp-Schwan präzisiert: „Bei den kleinen und mittleren Gastronomen läuft die Buchung von Weihnachtsfeiern tatsächlich noch recht gut. Die großen Caterer hingegen beklagen, dass Events reihenweise abgesagt werden. Das Risiko ist oft einfach zu groß.“

Forderung nach Planungssicherheit

Nach einem hoffnungsvollen Frühling sowie einem erträglichen Sommer und Frühherbst ist jetzt also wieder mal Zittern angesagt. „Die Angst vor der Angst“, sagt Patrick Rüther, „lähmt zurzeit die ganze Branche“. Und da wird Kerstin Rapp-Schwan temperamentvoll: „Was wir brauchen, ist Planungssicherheit“, echauffiert sie sich. „Zum Kalkulieren benötigen wir einfach klare Aussagen. Auch von Herrn Lauterbach! Immer nur abzubremsen – diese Manier ist lächerlich. Unabhängig von jedweden politischen Entscheidungen müssen zudem Strom und Gas sichergestellt werden.“

„Lasst uns Unternehmer unser Ding machen“, fordert auch Patrick Rüther, der unter anderem als Betreiber der „Bullerei“ in Hamburg bekannt ist und jetzt mit Partnern am Le Big TamTam im Hanseviertel arbeitet. „Wenn andere Leute uns ständig hineinfuhrwerken, wird das nichts. Wir Gastronomen möchten gern selbst unseren Beitrag zum Bruttosozialprodukt leisten, werden aber bei jedem Schritt behindert. Gegen Staatshilfen haben wir nichts einzuwenden, wenn man sieht, wer alles bezuschusst wird. Aber eigentlich möchten wir nur gute Bedingungen für die freie Wirtschaft. Und das heißt: Keine Einschränkungen ohne Not, klare Aussagen, schnelles und effektives Handeln.“

Bloß kleine Extraportion!

Keine Frage: Schön ins Restaurant zu gehen – ob als entspannte Krönung des Shopping-Bummels oder als abendliches Vergnügen – ist für viele Menschen ein Highlight, gerade nach den Entbehrungen in der Corona-Zeit. Reicht das, um der Gastronomie Hoffnung zu geben? Der Teufel steckt wie immer im Detail. „Die Leute haben zwar Lust aufs Restaurant, doch der Durchschnittsbon wird nicht höher“, meint Kerstin Rapp-Schwan. „Und das mittlere Segment ist am stärksten betroffen. Hochpreisige Locations suchen Leute auf, die ohnehin viel Geld haben. Die Klientel, die sparen muss, geht zurzeit eher in Billig-Restaurants.“ Patrick Rüther bekräftigt das. „Gäste verzichten zurzeit auf Vorspeisen, bestellen ein Glas Weinschorle statt einer ganzen Flasche, lassen den Kaffee weg und das Dessert. Bloß keine Extraportion! Das macht sich in der Kasse bemerkbar.“

Die Ketten der Systemgastronomie haben’s vordergründig erst einmal leichter, werden von den Mutterkonzernen bezuschusst. Bau-, Hygiene- und Arbeitsschutzverordnungen lassen sich leichter einhalten, und auch die Frage der Nachfolge ist kein Thema. Und dennoch: „Ein starker Individualgastronom, der in der Nachbarschaft fest verankert ist, steht auch in Krisenzeiten gut da“, betont Patrick Rüther.

Vorsicht vor der Preisspirale

Was können Gastronomen, die jetzt um ihre Existenz bangen, dem drohenden Aus entgegensetzen? „Zunächst einmal die Karte anpassen – wenn nötig, auch entgegen dem ursprünglichen Konzept. An der Marke als Gastgeber zu feilen, ist derzeit wichtiger als eine Riesen-Speisekarte“, schlägt Kerstin Rapp-Schwan vor. Die gebürtige Hamburgerin weiß, wovon sie redet, hat sie doch durch ihre vier Schwan-Restaurants sowie das Beethoven in Düsseldorf und Neuss jede Menge Expertise. „Natürlich“, schränkt sie ein, „wenn wir nicht langfristig planen können, sondern stets nur kurzfristig reagieren müssen, bleibt die Kreativität auf der Strecke.“

Die Kristallkugel habe die tellerrand consulting auch nicht im Keller, lachen die Beiden. Aber so viel können sie den Gastronomen landauf, landab trotzdem raten: „Bloß nicht die Pressspirale nach unten mitmachen! Sondern zur Kalkulation stehen und stattdessen mit Wertigkeit und Qualität überzeugen. Das Angebot sollte so gestaltet sein, dass die Arbeitsabläufe vereinfacht werden können.“ Gefragt seien in diesen Zeiten Beweglichkeit, Agilität und Flexibilität: „Jeden Tag aufs Neue schauen – was kann ich tun? Und das positive Denken beibehalten.“

Mit Hoffnung ins neue Jahr

Am Ende eines höchst diffizilen Jahres sieht die Gastronomie-Branche also mit verhaltenem Optimismus in die Zukunft. „Irgendwann wird sich das Leben wieder normalisieren“, hofft Patrick Rüther. „Neue Läden werden in absehbarer Zeit wahrscheinlich nur wenige öffnen. Jetzt ist vielmehr der Moment für Besinnung, sodass wir alle nach der Krise wieder voll einsteigen können.“ „Wer kann, bringt sich gerade in Stellung“, hat Kerstin Rapp-Schwan beobachtet. „So tolle Projekte werden derzeit angeschoben – das lässt wirklich hoffen.“

Nur eines erträgt sie nicht: „Die Medien haben’s geradezu darauf abgesehen, uns schlecht dastehen zu lassen – zum Beispiel als Arbeitgeber. Die Arbeitsbedingungen sind inzwischen hervorragend, und es wäre schön, wenn Eltern ihre Kinder bei der Berufswahl auch mal in Richtung Gastronomie anregen würden. Ich wünsche mir, dass die Branche nicht immer nur negativ dargestellt wird, sondern dass die Medien uns als das zeigen, wofür wir stehen: Genuss, Lebensfreude, bunte Vielfalt und fast grenzenlose Karrieremöglichkeiten auch international.“

Susanne Müller