Wie sich Werte errechnen
Interview
Tacheles
Susanne Müller
Lage, Lage und nochmals Lage: Diese alte Immobilien-Weisheit ist aktueller denn je und macht bei Wertgutachten ein gutes Stück der Torte aus. Immobilienökonom Dr. Gernot Archner, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Immobilien-Investment-Sachverständigen (BIIS), über Strategien, Zinsentwicklung und die Wiedererstarkung des Einzelhandels.
Wie ist die Stimmung am deutschen Handels-Immobilienmarkt?
Da kommt es sehr auf das Objekt an. Nahversorger und Fachmarktzentren laufen nach wie vor bestens. Diffiziler ist es bei Innenstadt-Immobilien. Für die Assetklasse Shopping Center ist die schlimmste Zeit vorbei: Die Renditen sind dort, wo sie sein sollten, und ebenso die Mieten. Das Tal der Tränen ist durchschritten – nach Corona stimmen die Frequenzen wieder, und die Umsätze sind zurück. Seit 2016 befinden wir uns im Korrekturmodus, und den aktuellen Status würde ich als vorsichtiges Revival der Shopping Center beschreiben. Allerdings ist die Erholung sehr centerspezifisch. Bei einem internationalen Mieterbesatz läuft’s in der Regel ganz gut.
Welche Assetklassen streben auf, welche werden weniger gut bewertet?
Nahversorger, Lebensmittler und gut bespielte Fachmarktzentren sind sozusagen das Brot- und Butter-Geschäft der Investoren. Schwierig zu veräußern sind zurzeit Objekte in der City, insbesondere in B-Lagen. In solchen Fällen kommt es auf das Objekt und die Mikrolage an. Großes Thema sind dabei die Erdgeschossmieten. Die angespannte Situation bezüglich der Obergeschosse lockert sich langsam, kreative Eigentümer finden immer eine Lösung.
Welche Faktoren spielen derzeit die Schlüsselrolle für gute Bewertungen?
Bei sämtlichen Nutzungsarten schauen institutionelle Investoren vermehrt auf ESG-Kriterien. Letzten Endes kommt es aber immer zentral auf die wirtschaftlich langfristige Tragfähigkeit des jeweiligen Geschäftsmodells des Nutzers an: Die Miethöhe muss passen, die Kundschaft stabil sein. Auch die Verbindungsfähigkeit der Einzelhandelsfläche mit dem Umfeld sollte stimmig sein. Wenn zum Beispiel Mieterwechsel bevorstehen, ist es wichtig, knallhart zu kalkulieren. Denn bei den Ausbaukosten hat sich das Verhältnis inzwischen zu Lasten der Vermieter verschoben, die in den allermeisten Fällen zumindest einen hohen Zuschuss leisten oder die Ausbaukosten komplett tragen müssen. Das alles muss sich vor dem Hintergrund kürzer werdender Mietvertragsdauern aber rechnen. So wie Vermieter viel Verständnis für die jeweilige wirtschaftliche Situation des Einzelhändlers entwickelt haben, müssen Einzelhändler auch die Zwänge der Eigentümer verstehen.
Können Besitzer oder Betreiber in die Jahre kommender Objekte oder solcher mit hoher Leerstandsquote etwas tun, um den Ertragswert kurzfristig zu steigern?
Sofern Lage und Umgebung passen, ist viel machbar, weil es sich rechnet. Bei einer guten Handelsimmobilie an einem sehr guten Standort mit vergleichsweise hohen Mieten rechnet sich eben mehr, als wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Dies gilt grundsätzlich für alle Nutzungsarten, aber für Handelsimmobilien einmal mehr. Diese Schere ist in den letzten Jahren leider nicht kleiner geworden. Im Einzelhandelsbereich ist die Mikrolage fast noch entscheidender als das Objekt selbst: An der Immobilie kann man arbeiten, an der Lage nicht. Jeder Eigentümer besitzt zunächst immer ein Grundstück! Der oftmals zu hörende Abgesang auf Lage, Lage, Lage ist meines Erachtens deplatziert. Besteht an der Lage keine ausreichendes Nachfragepotenzial mehr, weil sie sich beispielsweise verändert oder verschlechtert hat, stehen harte Entscheidungen bevor. Eine Umnutzung kann dann wirtschaftlich sinnvoll sein. Häufig wird dies mit einer Wertkorrektur einhergehen müssen, wenn erhebliche Capex-Maßnahmen erforderlich sind und zugleich das frühere Mietniveau dennoch nicht mehr erreicht werden kann.
Wie ist die Zinsentwicklung?
Möglicherweise sehen wir noch in diesem Jahr eine oder zwei Zinssenkungen der EZB. Allerdings wäre es falsch, als Immobilienbranche sich dadurch einen größeren Schub zu erwarten, weil sich die Zinsen am langen Ende nicht mehr nach unten bewegen dürften. Immerhin haben die Zinsen mittlerweile aber ein Plateau erreicht, das nachhaltig auch für die Immobilienwirtschaft tragfähig sein sollte. Für die Branche ist das letztlich gesund, weil sich Immobilien wieder rechnen müssen. Die Nullzinsphase ist im Rückblick eher negativ einzuordnen: Alle haben eine Riesen-Party gefeiert, alles hat sich über steigende Kapitalwerte irgendwie gerechnet – dann kam mit der Zinswende der Hangover, das tat natürlich weh. Nach einer Übertreibungsphase ist nun das Normalmaß zurück. Für Immobilien zählen endlich wieder die Fundamentaldaten und die richtigen Eigentümer.
Welche neuen Entwicklungen am Markt haben Sie beobachtet?
Der stationäre Einzelhandel ist back! Die Zeiten des Abgesangs sind vorbei. Wir werden vermehrt ein Miteinander von stationärem Einkauf und Online-Shopping erleben. Gute Konzepte haben weiterhin ihre Daseinsberechtigung, und so wird die physische Welt mit der digitalen zunehmend verschmelzen. Schon jetzt sehen wir eine gewisse Renaissance des Einkaufserlebnisses, und dass Menschen wieder vermehrt miteinander in Kontakt treten möchten. Gerade auch Kids und Jugendliche – und ja, auch gerade an Shopping Places mit einem breitem Angebot an Unterhaltung und Gastronomie. Sie gehen im Einkaufszentrum dann vielleicht gemeinsam ins Kino oder besuchen eine andere Freizeit-Destination. Diese Entwicklung zeichnet sich ganz klar ab, und der alte Spruch „Handel ist Wandel“ bewahrheitet sich einmal mehr.
Susanne Müller