Wo fähige Politiker fehlen, da geht die Wirtschaft baden

Professor Dr. Heiner Flassbeck
Professor Dr. Heiner Flassbeck war Keynote-Speaker beim German Council Congress 2022 © Anna-Lena Ehlers Photography

Interview
Werte

Susanne Müller

Deutschland in der Abwärtsspirale: ein hausgemachtes Problem, findet der prominente Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Heiner Flassbeck. Der Politik fehlen kompetente Köpfe, meint er. Und fragt sich, ob Vernunft und Wirtschaftspolitik unüberwindbare Gegensätze sein müssen.

Herr Professor Dr. Flassbeck, die Lage in Deutschland ist brisant. Bürger fürchten sich vor kalten Wohnungen und davor, die steigenden Lebensmittelpreise nicht mehr stemmen zu können. Was ist schief gelaufen?
Heiner Flassbeck: Das Problem betrifft nicht nur Deutschland. Weltweit steigen die Preise. Die ganze Welt steht noch unter dem Corona-Schock, und der Ukraine-Krieg mitten in Europa hat die Märkte in Unordnung gebracht. Profiteure nutzen das aus. Globale Spekulationen mit Rohstoffen haben die Preise in der ersten Phase enorm angetrieben.


Sie gehen mit Politikern hart ins Gericht. Woran krankt die Wirtschaftspolitik der Ampel?
Es wird, wie auch unter Merkel, nur in betriebswirtschaftlichen Dimensionen gedacht und nicht gesamtwirtschaftlich. Der Blick auf die Volkswirtschaft fehlt einfach, aber ohne den geht es nicht. Auch die Minister, wie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, lassen nicht erkennen, dass ihnen die gesamtwirtschaftliche Dimension überhaupt bewusst ist. Es gibt in der ganzen Regierung keinen profilierten Volkswirt. Das wäre aber entscheidend, um die Problematik in den Griff zu bekommen.


Sie reden von „aufgeregtem Gezwitscher aus allen Lagern“, vermissen aber fundierte Debatten und prangern Rechthaberei an – ohne die Fähigkeit, einen klaren Gedanken zu fassen. Worauf führen Sie diese Konfusion zurück?
Es mangelt in politischen Kreisen einfach an Kompetenz. Hochkomplexe Gesellschaften brauchen nicht nur politische Führung, sondern vor allem intellektuelle Führung vonseiten der Regierung. Nötig wären für die wichtigen Ressorts hochqualifizierte Politiker. Unsere jetzige Führungsriege hat kein Metier richtig gelernt und ist demnach beliebig austauschbar. Minister müssen jedoch Ahnung von dem Ressort haben, das sie leiten. Schon seit 20 oder 30 Jahren ist das ein zentrales Problem – jeder kann jedweden Posten besetzen – ohne Hintergrundwissen.


Was würden Sie der politischen Führungsriege konkret anraten?
Ob Habeck, Lindner oder Scholz – das zentrale Problem Europas ist die Frage der staatlichen Schulden. Es gibt kein Sparen ohne Schulden! Da die privaten Haushalte und die Unternehmen in ganz Europa sparen, muss der Staat Schulden machen. Wenn er das nicht tut, bricht die Wirtschaft zusammen. Die Bundesregierung tut aber so, als sei es nur mangelnder politischer Wille, der einige Länder daran hindert, die staatlichen Schulden zu reduzieren. Diese Position ist grob fahrlässig.  


Inflation und drohende Rezession  – und seitens der Politik lauwarme Beschwichtigungen, unausgegorene Hilfspakete oder unangemessene Ratschläge zum Sparen. Wie würden Ihre Lösungen aussehen?
Inflation ist ein weiteres Problem, das so, wie es beschrieben wird, nicht existent ist! Wir haben keineswegs eine Lohn-Preis-Spirale, sondern Preisschocks, die temporär sind. Somit gibt es keinen Grund zur Panik. Die Erhöhung der Zinsen durch die EZB ist gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv und führt letztendlich nur zu einer noch größeren Rezession. Auch dazu müsste die deutsche Politik eine klare Position haben.


Sie loben China als Vorbild in Sachen Wirtschaftspolitik. Was macht die Republik besser als zum Beispiel europäische Staaten?
China verfolgt eine intelligente Wirtschaftspolitik und sucht nicht auf Teufel kommt raus nach Marktlösungen. Wenn der Markt eine Lösung bietet, ist es gut, wenn nicht, muss der Staat aushelfen.


Traditionell sind Politik und Wirtschaft miteinander verquickt – Subventionen hier, Parteispenden dort. Das Sponsoring von Banken, der Auto- und Flugindustrie beispielsweise bringt viele auf die Palme. Wie ließe sich das besser lösen?
Die Politik muss für eine deutliche Entlastung der unteren Einkommen sorgen. Das ist zentral, wird aber immer wieder verwässert, weil jede Partei ihre Klientel auch noch bedienen will. Ein anderes Beispiel: Wenn man eine Klima-Strategie verfolgt, die darauf setzt, die Erneuerbaren durch Gaskraftwerke zu unterstützen, und plötzlich ist kein Gas mehr da, dann muss man der Bevölkerung ehrlich sagen, dass man ein Problem hat. Wenn man aber im Prinzip bereit ist, russisches Gas weiterhin zu kaufen, dann ist es vollkommen wurscht, aus welcher Pipeline dieses Gas kommt. Wer sagt, ich will russisches Gas, es darf, aber nur aus der Pipeline Nummer 1 und niemals aus der mit Nummer 2, der macht sich einfach lächerlich. Das ist fast schon am Rand des Kindergartens.


Wohin kann es führen, wenn Bundesbürger demnächst in kalten Wohnzimmern sitzen und ihre Lebensmittel nicht bezahlen können?
Da haben Rattenfänger vom Schlage Trump und Johnson ihre große Chance – Clowns werden ja auch sonstwo immer häufiger zu Regierungschefs gemacht. Die Demokratien sind in höchstem Maße gefährdet, weil die Menschen extrem unzufrieden sind mit der Politik und den Politikern. Letztendlich droht überall moderner Faschismus à la Trump.

Das Interview führte
Susanne Müller