Wohnen und Konsum

Andreas Breitner
Andreas Breitner © Bertold Fabricius

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Susanne Müller

Im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahlen liegt eine Vielzahl an Baustellen an – bezahlbarer und ausreichender Wohnraum, soziale Spaltung, schwacher Konsum und einiges mehr. Andreas Breitner gibt als Wohnungsbauexperte und SPD-Politiker im Interview Einblicke.

Deutschland ächzt derzeit unter massiven Herausforderungen – welche Themen sollte die neue Bundesregierung als erstes angehen, um das Land nach vorne zu bringen?

Für die sozialen Vermieter ist wichtig, dass die Regierung das bezahlbare Wohnen im Land sichert. Trotz einer erheblichen Steigerung der Baukosten und der Zinsen muss es möglich sein, günstige Wohnungen zu bauen. Dazu brauchen unsere Unternehmen eine auskömmliche öffentliche Förderung, den Abbau von Bürokratie und den Verzicht auf alles, was bauwillige Unternehmen behindert. Bezahlbares Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Wer das vergisst, gefährdet den sozialen Frieden in unserem Land. Das gilt es auch bei der Energiewende zu berücksichtigen. Klimaschutz wird auf Dauer nur funktionieren, wenn die Menschen ihn bezahlen können. Wer sie überfordert, erntet nur Widerwillen und Widerstand.

Wie wird sich das Ergebnis der US-Wahl mit Trump als wiedergewähltem Präsidenten auf die europäische und deutsche Wirtschaft auswirken?

Das wird sich zeigen. Ich denke allerdings, wir sollten nicht in erster Linie nach Washington, sondern auf uns schauen. Wie bekommen wir die Transformation zu einer nachhaltig wirtschaftenden Gesellschaft hin, ohne dass die Menschen ihre Jobs und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlieren? Es ist sicher so: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Aber auch Veränderung einer Gesellschaft wird nur dann erfolgreich sein, wenn man sie nicht gegen die Menschen umsetzt, sondern ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv daran zu beteiligen. Wir brauchen zudem mehr Bewusstsein für unsere ureigenen europäischen Interessen. Nur wer sich seiner selbst bewusst ist und auch so auftritt, wird von anderen respektiert. Das dürfte gerade im Umgang mit dem künftigen US-Präsidenten entscheidend sein.

Wie sehen Sie die kurz- und mittelfristigen wirtschaftlichen Perspektiven in Deutschland – auch mit Blick auf den Einzelhandel?

Deutschland hat in der jüngeren Vergangenheit sehr von den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Reformen profitiert, die unter der Regierung des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder angestoßen wurden. Jetzt gilt es, die Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft solidarisch zu organisieren. Die Regierung muss das ganze Land im Blick behalten. Wir brauchen Leitplanken, die ein Abdriften unserer Gesellschaft in eine „Raubtiergesellschaft“ verhindern. Zugleich braucht die Wirtschaft die nötige „Beinfreiheit“, um die Herausforderungen zu meistern. Wenn Menschen gutes Geld verdienen, dann können sie auch konsumieren. Das wird man dann auch im Einzelhandel merken. Deshalb darf die wirtschaftliche Spaltung unserer Gesellschaft nicht weiter zunehmen.

ZIA-Präsidentin Iris Schöberl sagte kürzlich, dass der Wohnungsbau eng mit dem Handel verknüpft sei, denn bei hohen Mieten fließe weniger Geld in den Konsum. Inwiefern sehen Sie kausale Zusammenhänge, und was müsste getan werden?

Man kann den Euro nur einmal ausgeben. Insofern ist es richtig, dass hohe Wohnkosten den Konsum der Menschen beeinflussen. Als Direktor eines Verbandes, der für die sozialen Vermieter streitet, muss ich aber auch darauf hinweisen, dass bei unseren Unternehmen nicht die Mieten das Hauptproblem sind. Die monatliche Nettokaltmiete liegt bei unseren gut 300 Mitgliedsunternehmen im Durchschnitt bei 6,59 Euro pro Quadratmeter. Sorgen bereiten mir die steigenden Nebenkosten für Heizung, Strom und öffentliche Gebühren – die so genannte zweite Miete. Während die Politik gern über einen Mietendeckel diskutiert, habe ich bislang wenig von einem Gebührendeckel gehört. Gerade die öffentlichen Gebühren, beispielsweise für Müll oder Abwasser, sind in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gestiegen. Das Geld fehlt den Menschen dann beim Konsum.

Der Haushalt ist knapp bemessen, derweil so manche Innenstadt marode ist, anstatt sich zukunftsfähig aufzustellen. Wie ließe sich dieses Problem lösen?

Trotz knapper öffentlicher Kassen halte ich es für einen Fehler, wenn jetzt bei der Städtebauförderung gekürzt wird. Wer das tut, schädigt die Kommunen über vielen Jahre hinaus. Ich denke in erster Linie an Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, beim Glasfaser- und beim Straßenbau. Intakte Innenstädte und funktionierende Wohnquartiere gehören zusammen und sind unverzichtbar. Wenn die Landesregierungen hier sparen, legen sie die Axt an den Zusammenhalt in unserem Land.

Welche Innenstadt-Modelle könnten funktionieren?

Ein guter Mix aus Handel, Wohnen und Restaurants. Wir müssen die Menschen wieder zurück in die Innenstädte bringen. Bürostädte, in denen abends ab 20 Uhr das Licht ausgeht, werden keine Zukunft haben. Dazu gehört Sicherheit im öffentlichen Raum. Es muss für Frauen und Männer möglich sein, jederzeit angstfrei in unseren Innenstädten unterwegs zu sein.

Haben Sie einen Tipp, welche Quellen Kommunen, Unternehmen und Einzelhändler, die derzeit alle unter vielfältigen Belastungen ächzen, anzapfen können, um etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen?

Wie gesagt: Eine auskömmliche Städtebauförderung ist unverzichtbar. Es gibt zudem öffentliche Programme für die soziale Stadtteilentwicklung, die genutzt werden können.

Ihre Voraussage für kommendes Jahr?

Holstein Kiel wird den Klassenerhalt in der Ersten Fußball-Bundesliga schaffen.

Susanne Müller