Wo’s im Land brennt

Feuerwehr
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Courage

Susanne Müller

Hierzulande herrscht allgemein verzagte Stimmung. „Wer nichts waget, der darf nichts hoffen“ wusste aber schon Friedrich Schiller – sein Plädoyer für mehr Mut passt gerade in heutige Zeiten. Doch von wem können wir lernen? Unsere Alltagshelden leben Beherztheit täglich vor. Professor Reinhard Ries als ehemaliger Branddirektor in Frankfurt am Main hat aus seinem Wirken wertvolle Erkenntnisse gewonnen.

In Krisensituationen die richtige Entscheidung treffen zu können, rettet im Falle der Feuerwehr Leben – jenes von Opfern als auch das der Kameraden, ist also existenziell. Diese Gabe fuße auf guter Ausbildung, gepaart mit einer gehörigen Portion Erfahrung, so Professor Ries. „Wir achten auf Führungsfähigkeit und das Geschick, pro-aktiv zu handeln“, erläutert er. „Dieses ist nicht jedem gegeben, beweist sich aber schnell beim täglichen Einsatz.“ Wer zum Beispiel einen Katastrophenalarm auslöse, dürfe keine Angst vor der eigenen Entscheidung haben.

Von der Pike auf lernen

Alle Feuerwehr-Rookies fahren erst einmal lange im Fahrzeug mit, bis sie zu höheren Aufgaben berufen werden. „Wenn jemand gleich nach oben katapultiert wird, klappt das nicht“, ist er überzeugt. „Besser, der Betreffende wächst in die Aufgabe herein. Die Mannschaft ist der beste Spiegel für die eigene Leistung.“ Teamgeist, eine gewisse Demut, gute Grundlagen, aber auch der Mut, zum eigenen Handeln zu stehen – das sind Eigenschaften, die durchaus als Handwerkszeug für andere Lebensbereiche taugen.

Risiken vermeiden

Brodelnde Innenstädte mit hoher Personendichte erzeugen oft Unbehagen. Doch die Gefahrenlage sei eigentlich überall ähnlich, „auch auf dem platten Land“, so der Experte. „In den Städten kommen allerdings Menschenmassen und Brennpunkte hinzu. Wenn im Stadion 60.000 Leute aufeinander treffen, so viele wie in einer Kleinstadt leben, ist das Risiko natürlich hoch. Der gesunde Menschenverstand weiß jedoch, dass ich mich von Randalierern besser zurückziehe – wie man einem gefährlichen Hund ausweichen würde. Gut ist, ein Video zu machen, sodass Gewalttäter später identifiziert werden können – ohne mich jedoch zu nah heranzuwagen.“

Schnelle Reaktion ist wichtig

Gerade finden in deutschen Innenstädten viele Demonstrationen unterschiedlicher Couleur statt, und nicht immer geht’s dabei friedlich zu. Professor Ries erinnert sich an eine ausgeuferte Demo anlässlich der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt in 2015. „Viele Straftäter aus dem gesamten europäischen Raum waren eigens angereist – und plötzlich herrschten kriegsähnliche Zustände. Brände wurden gelegt, die Retter massiv angegriffen, unter anderem mit Steinen und Säure.“ Am Ende waren 350 Personen festgesetzt, mehrere Dutzend Beamte verletzt. Gefordert waren die Helfer auch, als im gleichen Jahr der riesige Flüchtlingsstrom auf Deutschland zurollte. „Ein Kollege rief mich aus München an – der dortige Bahnhof sei komplett von Menschen überlaufen, die in Richtung Frankfurt reisen wollten“, so Ries. „Wir haben sofort Turnhallen requiriert und Katastrophenschutz aufgebaut.“ Schnelle Reaktion sei in solchen Fällen ungemein wichtig, betont er.

Infrastrukturen aufrüsten

Welche Bedrohung er am höchsten einschätzt, beantwortet er prompt: „Blackout!“ Als ehemaliger Berater der Bundesregierung hält er dieses Szenario grundsätzlich für möglich, „mittlerweile wahrscheinlicher durch die verwirrende Energiegewinnung“. Im Fall der Fälle jedoch wären viele Klienten plötzlich vom Strom abgeschnitten. „Deren Infrastrukturen haben schweren Nachholbedarf“, mahnt Ries. „Wir bei der Feuerwehr haben den Notstrom längst hochgerüstet und in jeder Wache installiert.“ Wer sich hingegen gründliche Gedanken über ihre Stromkapazitäten gemacht hätten, seien die großen Banken: „Davon lässt sich manches abschauen.“

Menschen immer aggressiver

Industrie und Wirtschaft funktionieren in Deutschland von ihren Strukturen her nach wie vor grundsätzlich gut, ist er überzeugt. „Nur die Gesellschaft hat sich verändert. Die Menschen reagieren – angeheizt durch die Neuen Medien – immer schneller aggressiv. Das Recht des Stärkeren setzt sich zunehmend durch. Früher hätten wir Terroranschläge wie in Nizza oder am Berliner Breitscheidplatz nicht für möglich gehalten. Leider ist der Schutz vor solchen Amok­taten auch nicht immer optimal. Betonklötze zum Beispiel schießen wie Billardkugeln durch die Gegend, wenn sie angeschubst werden.“ Viele Kommunen müssten bei den Schutzvorrichtungen nachbessern – auch Frankfurt.

Wertschätzung verloren gegangen

Zunehmende Aggression schlägt inzwischen auch Rettungskräften entgegen. „Vor zwanzig, dreißig Jahren galten Feuerwehrleute, Polizisten und Notfallsanitäter als Helden – heute ist diese Wertschätzung vielfach nicht mehr gegeben“, bedauert Reinhard Ries. „In einer verrohenden Gesellschaft erleben wir nun immer häufiger Übergriffe. Vielen Menschen geht’s wirtschaftlich schlecht, ein Alleinverdiener kann die Familie nicht mehr ernähren. Das führt dazu, dass manche Menschen sich auf ihre Art durchsetzen wollen. Andere rufen regelrecht zu Randalen auf. In solchen Fällen helfen wir uns durch Deeskalationstraining selber, das haben wir ja gelernt. Feuerwehrleute zum Beispiel tragen nach wie vor keine Schutzwesten und sind unbewaffnet, um Aggressoren nicht noch zusätzlich aufzustacheln.“ Am liebsten würde er den einen oder anderen Politiker, der die Bodenhaftung verloren hat, zum Einsatz mitnehmen, um ihnen die Realität vor Augen zu führen.

Nur nicht überreagieren

Stichwort Zivilcourage – sollte ein Laie in Krisensituationen einschreiten, oder bringt er sich selbst in Gefahr? „Wer in eine solche Lage kommt, sollte versuchen, einen gesunden Mittelweg zu finden“, rät Professor Reinhard Ries „Gar nichts zu tun, ist allerdings unerträglich. Wenn wir nicht Einsatz und Engagement für andere Menschen zeigen, haben wir verloren.“ So beklagt er beispielsweise, dass so mancher Mitbürger angesichts eines schweren Unfalls lieber ein Video macht, anstatt einen Notruf abzusetzen. Er betont allerdings auch, dass es wichtig sei, in einer emotionalen Phase nicht überzureagieren, „obwohl das menschlich verständlich ist. Jeder sollte seine Grenzen kennen und das eigene Handeln entsprechend anpassen. Sich zu verdrücken, ist jedoch genau der falsche Weg.“ In Gefahrenlagen laut zu schreien, andere Personen anzusprechen, seien gute Ideen: „Täter ergreifen dann oft die Flucht“, weiß er. „Wenn sie sich entfernen, lässt sich dem Opfer helfen.“ Und die 110 – die lasse sich halt immer schnell wählen.

Security für Safety

Als studierter Architekt und Experte für Brand- und Katas­trophenschutz berät Professor Reinhard Ries die WISAG. „Gebäudebetreiber stehen unter hohem Druck und begegnen immer größeren Herausforderungen. Leider haben viele Eigentümer oder Manager kein Gefühl fürs Risikomanagement, blenden das Thema aus und hoffen, dass alles gut geht. Mittlerweile ist die Nachfrage nach Beratung allerdings etwas höher, das Bewusstsein für die Betriebsverantwortung steigt. Auch, weil Versicherungen verstärkt auf Brandschutz achten.“ Diese Situation birgt nach seiner Ansicht eine große Chance: „Warum nicht Security-Mitarbeiter auch in Sachen Safety fit machen?“

Susanne Müller