Zukunft der Center

Sabine Keulertz und Klaus Mennickheim
Sabine Keulertz und Klaus Mennickheim © ambas

Interview
Tacheles

Dr. Andreas Martin

Retail-Immobilien sind im Moment nicht einfach im Markt zu platzieren. Umso wichtiger ist es, schon bei der Vermietung daran zu denken, was für potenzielle Erwerber später einmal besonders bedeutend sein kann. Wir haben zwei Spezialisten für den Verkauf von Immobilien mit dem Schwerpunkt Einzelhandel gefragt, was von Anfang an in der Vermietung zu beachten ist. So kann vermieden werden, dass Dinge vereinbart werden, die später zum Hemmschuh der Veräußerung werden können.

Was muss man heute bei der Vermietung beachten, um in fünf Jahren erfolgreich zu sein und ein Objekt dann verkaufen zu können?

Sabine Keulertz: Käufer schauen sich schon heute neben den grundlegenden Themen wie Mieten, Frequenzen, Einzugsgebiet etc. unter anderem die folgenden Themen im Detail an: Indexregelungen, Umlegbarkeit der Nebenkosten, Einsprüche zu den Nebenkostenabrechnungen aus den letzten Jahren sowie die verbrauchsabhängigen Kosten. Es geht dabei im Wesentlichen um zwei Themen: Wie hoch ist die Gesamtmietbelastung der Mieter (RSR Rent to Sales Ratio, also Umsatzmietbelastung, oder – noch umfassender – OCR Occupancy Cost Ratio, also Umsatzmietbelastung inklusive Nebenkosten – vergleichbar mit Raumkosten im Bürobereich. Und: Wie hoch ist die Nettomiete, die beim Eigentümer verbleibt? Deutlich wichtiger werden in einer Fünf-Jahres-Perspektive sicher zusätzlich die ESG-Komponenten im Mietvertrag – so genannte Green Leases – und die Meldung und Optimierung der Mieterverbräuche zu Strom, Wasser etc., da die Mieterverbräuche einen sehr wesentlichen Einfluss auf die entsprechenden Ratings (CRREM, EPC etc.) haben, da sie die Verbräuche der Allgemeinbereiche bei weitem übersteigen.

Klaus Mennickheim: Die Vermietung ist die Schlüsselfunktion des Asset Managements und sollte daher immer auf eine ganzheitliche Objektwertsteigerung ausgerichtet sein. Daher gilt es, die langfristigen Bedürfnisse der Kunden des Einzelhandelsobjektes zu verstehen. Das Verständnis der Kundenwünsche ist der Erfolgsfaktor für nachhaltig erfolgreiche Mieter, die dann wiederrum den idealen Mieterbesatz auch in fünf Jahren darstellen können. Generell sollten bei Vermietungsentscheidungen neben der singulären Betrachtung des Cashflows auch Faktoren wie individuelle Standortmerkmale, Zielgruppenorientierung, Nachhaltigkeit und natürliche die Bonität der Mieter betrachtet werden.

Hat das klassische, monothematische Shopping-Center eine Zukunft?

Sabine Keulertz: Bei großen Shopping Centern mit etwa 30.000 Quadratmetern und größer, die eine überregionale Ausstrahlung mit einem weitreichendem Einzugsgebiet haben und für sich alleine stehen, ist ein guter Mieter- und auch Nutzungsmix mit gegebenenfalls zusätzlichen ergänzenden Elementen wie Entertainment oder Gastronomieschwerpunkt wichtig. Monothematische Shopping Center werden an diesen Stellen eher einen schweren Stand haben. Bei kleineren Shopping Centern, die in einer funktionalen Umgebung als Ergänzung stehen oder aber in Stadtteilen als Versorgungsfunktion dienen, reicht die monothematische Funktion.  

Klaus Mennickheim: Moderne Verbraucher legen Wert auf ein vielfältiges Einkaufserlebnis, das über den reinen Konsum hinausgeht. Dies umfasst neben klassischem Shopping insbesondere Gastronomie und Freizeitangebote, ebenso wie Entertainment und Events.  Wo Shopping-Center diese Themen anbieten können und die Standortbedingungen attraktiv sind, haben die Objekte sehr positive Zukunftsaussichten.

Es wird viel von der Integration neuer Nutzungsformen gesprochen. Welche neuen Wege versprechen hier besonders viel Erfolg?

Sabine Keulertz: Eine Nutzungsform, die in der jüngsten Vergangenheit immer wieder diskutiert und geprüft wird, ist die Integration von öffentlichen Nutzungen. Diese Diskussion und auch Umsetzung gibt es natürlich schon lange, so wurden zum Beispiel häufig städtische Büchereien in Shopping Center integriert. Das Thema öffentliche Nutzung gewinnt aber gerade mehr und mehr an Bedeutung, sodass es für öffentlich genutzte Immobilien schon eigene Fonds gibt. In gleicher Form wird die Integration von weiteren öffentlichen Nutzungen wie zum Beispiel von verschieden Schulen – VHS, Grundschule, weiterführende Schulen, Berufsschulen, Kindergärten, öffentliche Ämter und ähnliches weitergedacht und geprüft. Die Mietverträge mit der öffentlichen Hand bieten den Käufern viel Sicherheit und bringen eine konstante Frequenz in die Gebäude. Um diese zwei zentralen Punkte, die Sicherstellung einer hohen Frequenz sowie die Reduzierung des Mietausfallrisikos, drehen sich immer wieder die Themen, die einen Käufer und auch Eigentümer beschäftigen.

Klaus Mennickheim: Unter Stadtplanern wird häufig das Konzept der 15-Minuten-Stadt diskutiert. Mit kurzen Wegstrecken und lebendigen, gemischt genutzten Quartieren mit attraktiven Verweilmöglichkeiten soll eine Stadt gedacht werden, in der alle Wege des Alltags in weniger als 15 Minuten bestritten werden können. Ich denke, dass diese Idee für Handelsimmobilien auch eine wesentliche Orientierung sein kann. Je nach Standort kann durch die Integration von multifunktionalen Angeboten wie Dienstleistungen, Arztpraxen, Büros, Hotels, Wohnungen oder Freizeit- und Kulturangeboten das reine Einzelhandelsangebot mit komplementären Nutzungen sinnvoll ergänzt werden.

Gibt es Mieter, die heute schon erfolgreich sind und die für ein erfolgreiches Objekt in fünf Jahren von Vorteil sein werden?

Sabine Keulertz: Ich glaube, für diese Frage brauche ich eine Glaskugel, die ich leider nicht habe. Es ist schwer zu sagen, wer in fünf Jahren noch erfolgreich sein wird. Aktuell tut sich sehr viel im Handel. Viele neue Ideen und Konzepte drängen auf den Markt, unter anderem auch sehr erfolgreiche Konzepte aus dem benachbarten und ferneren Ausland. Zudem werden die derzeitig starken vertikal organisierten Mieter immer stärker. Und es ist eine Differenzierung der Handelslandschaft in Flagship-Formate und hochwertige Retailer und diskontierte Konzepte auf der anderen Seite zu beobachten, die beide extrem erfolgreich sind – wie Breuninger und Inditex auf der einen, Action, Tedi, Woolworth und KIK auf der anderen Seite. Derzeit gelingt es mit diesen positiven Aspekten, die natürlich ebenfalls relevanten und in der Masse gefühlt zunehmenden Insolvenzen oder aber Eigenverwaltungsverfahren, die wir vor allem im recht undifferenzierten mittleren Modebereich sehen, aufzufangen.  Vermutlich werden wir diese Entwicklungen – einerseits neue, innovative Konzepte und starke vertikal organisierte Filialisten, andererseits stark unter Druck stehende undifferenzierte Konzepte – auch in den nächsten Jahren als parallele Entwicklungen akzeptieren und darauf reagieren müssen.

Klaus Mennickheim: Natürlich gibt es viele Beispiele von Mietern, die aktuell erfolgreich sind und von denen wir auch von einer zukünftigen Relevanz in fünf Jahren ausgehen. Dies betrifft zumeist erfolgreiche Unternehmen aus den Bereichen Mode, Lebensmittel, Technologie und Gastronomie, die Innovation und Anpassungsfähigkeit als Teil Ihrer Unternehmenskultur ansehen. Die Vergangenheit hat aber auch gezeigt, dass neben etablierten, nicht anpassungsfähigen Mietern auch innovative Mieter mit einem zu hohen Wachstums- und Expansionstempo in Schwierigkeiten geraten sind. Eigentümer von Handelsimmobilien sollten stets einen hohen Grad an Flexibilität und ein Gespür für gesellschaftliche und davon abgeleitete konzeptionelle Trends mitbringen.

Welche Vertragsbedingungen wie Laufzeit, Sonderkündigungsrechte oder Umsatzmieten akzeptiert ein Käufer, eine Bank oder ein zukünftiger Käufer bei Mietverträgen?

Sabine Keulertz: Vor etwa zehn Jahren wollten Banken für Shopping Center bestenfalls eine durchschnittliche Restlaufzeit der Mietverträge von über acht Jahren. Das ging natürlich gut bei neu entwickelten Shopping Centern, in denen die Ankermieter einen 15-Jahres-Mietvertrag und die restlichen Mieter jeweils einen Zehn-Jahres-Mietvertrag unterschrieben haben. Heute ändern sich die Konzepte so schnell – und bei einigen Mietern kommt zudem eine große Verhandlungsmacht mieterseits hinzu -, dass die meisten Mieter nur noch einen Fünf-Jahres-Mietvertrag unterschreiben wollen. Ich glaube, bei den Laufzeiten haben sowohl Käufer als auch Banken verstanden, dass hier eine durchschnittliche Restlaufzeit von drei bis fünf Jahren eine akzeptable Kennzahl ist. Bei den Sonderkündigungsrechten wird in der Regel das erste mögliche Kündigungsdatum als Vertragslaufzeit vom Käufer als auch von der Bank angenommen.  Mit reinen Umsatzmieten kommen sowohl Käufer als auch Banken nur schlecht zurecht. Die reine Umsatzmiete ist schwer zu prognostizieren und zu kalkulieren, und teilweise gibt es in Konzernen die Vorgabe, hier mit der Worst-Case-Annahme zu rechnen, was am Ende einen starken Einfluss auf den Kaufpreis beziehungsweise die Bewertung hat. Aber auch hier hat – insbesondere aufgrund der immer größeren Anzahl an umsatzbasierten Mietverträgen – ein gewisses Umdenken eingesetzt, das aber noch nicht abgeschlossen ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die jeweiligen Annahmen mit Benchmarks und testierten Umsätzen aus der Vergangenheit, oder aus anderen, vergleichbaren Centern hinterlegt werden – dann gelingt es auch, für Banken und Käufer eine verlässlichere Basis zu bilden.

Klaus Mennickheim: Der Markt hat sich in den letzten Jahren radikal verändert, und die Mieternachfrage variiert stark abhängig von der Attraktivität des Objektes. Generell konnten einige Schlüsselmieter in Verhandlungen mit Vermietern teilweise sehr mieterfreundliche Bedingungen wie kurze Laufzeiten, Sonderkündigungsrechte oder reine OCR-Mieten  -die gesamten Mieterkosten als Prozentsatz der Umsätze – durchsetzen. Hierbei ist jedoch innerhalb eines Mieter-Mixes eine Balance wichtig, sonst werden Eigentümerinvestitionen in Objekte nur schwer zu rechnen sein. Bei den individuellen Vertragsbedingungen hängt die Flexibilität von Investoren und Finanzierungspartnern stark von konkreten Mietern ab. Je attraktiver der Mieter für das Objekt, desto eher werden mieterfreundliche Bedingungen akzeptiert.

Die Modebranche war in den letzten Jahren besonders gebeutelt von unterschiedlichen Krisen. Werden Modemieter von potenziellen Käufern von Handelsimmobilien noch akzeptiert?

Sabine Keulertz: Ja, Modemiete werden von Käufern noch akzeptiert und auch gewünscht, denn ein Shopping Center ohne Mode ist für den Kunden langweilig. Sicherlich ist die Fashionquote von 50 bis 60 Prozent, wie sie über die letzten Jahre häufig war, nicht mehr zeitgemäß, aber 40 Prozent ist eine gute Fashionquote, die ein großes Shopping Center haben sollte. Gute Fashionkonzepte ziehen auch nach wie vor Kunden an und sorgen für eine gute Frequenz. Wichtiger als die reine Prozentzahl ist aber das Vorhandensein von differenzierenden Konzepten – ein Center mit 50 Prozent Fashionquote, aber mit differenzierenden Mietern wie der Inditex-Gruppe, Breuninger oder der H&M-Gruppe ist sicher für einen Investor attraktiver als ein 40-Prozent-Anteil mit ausschließlich undifferenzierten Konzepten.

Klaus Mennickheim: Die Modebranche durchlebte in den letzten Jahren in der Tat erhebliche Herausforderungen, einschließlich gesamtwirtschaftlicher Unsicherheiten, der COVID-19 Pandemie und dem Wandel im Konsumentenverhalten hin zum hybriden Konsumenten. Durch diese strukturellen Umbrüche sind einige Modemieter in die Insolvenz gerutscht, und die Modebranche hat daher in der Gunst von Investoren gelitten. Es gibt jedoch gerade im Segment des stationären Modehandels auch sehr erfreuliche Entwicklungen, beispielsweise im Segment internationaler und gut profilierter Modemarken mit einer erfolgreichen Omnichannel-Strategie und erlebnisorientierten Shopwelten. Derartige Store-Formate werden immer ein essenzieller Bestandteil der Einzelhandelslandschaft bleiben und dürfen daher auch als wesentlicher Bestandteil des Mietermixes durch Käufer von Handelsimmobilien positiv bewertet werden.

Welche Bedeutung haben ESG-Klauseln in Mieterverträgen, und wie müssen diese grundsätzlich gestaltet sein? Muss- oder Kann-Regeln?

Sabine Keulertz: Wie bereits erwähnt, sind ESG-Klauseln in Mietverträgen extrem wichtig, da der Einfluss der Mieterverbräuche auf die relevanten Benchmarks wie EPC und CRREM sehr groß ist. Derzeit beinhalten die ESG-Klauseln jedoch – bis auf Grünen Strom, der meist verpflichtend ist – lediglich Kann-Bestimmungen – dies muss in Zukunft deutlich detailliert, stärker verpflichtend ausgestaltet und optimiert werden. Und hier ist auch die Mieterseite zur Zusammenarbeit aufgerufen.

Klaus Mennickheim: Mietverträge mit ESG-Klauseln sollten sowohl Muss-Regeln als auch optionale Kann-Bestimmungen umfassen. Bindende Regelungen sind notwendig, um die Einhaltung grundlegender ESG-Standards überhaupt sicherzustellen. Optionale Bestimmungen erlauben den Vertragsparteien wichtige Flexibilität im Hinblick auf eine ökonomisch tragfähige wie auch praxistaugliche Umsetzung von Zielvorgaben. Eine aufmerksame Ausgestaltung solcher Klauseln kann sowohl zur Erreichung relevanter Nachhaltigkeitsziele als auch zu einem positiven Image der betreffenden Immobilie beitragen – was wiederum sowohl für Vermieter als auch für Mieter von Vorteil ist.

Wie sieht ein Shopping Center der Zukunft aus, in dem Sie in fünf Jahren gern einkaufen werden?

Sabine Keulertz: Das Shopping Center der Zukunft wird – mehr als dies in der jüngeren Vergangenheit der Fall war – das sein, als das es einmal Ende der 60er Jahre konzipiert wurde – nämlich als lebendiger Marktplatz und Destination. Und das Shopping Center wird sich sehr differenziert auf seine Umgebung einstellen müssen – nicht wie bisher „one size fits all“, sondern eher custom made und passgenau für die Bedürfnisse der Kunden. Und natürlich werden wir all die Buzzwords und Strategien dann auch in Realität umgesetzt sehen, das heißt, wir werden sehr sehr viele Flagship-Formate sehen, wir werden sehr viele Convenience Angebote finden inklusive öffentlicher Nutzungen -und Entertainment- und  Wellness-Konzepte werden das Retail-Vergnügen gewinnbringend ergänzen.    

Klaus Mennickheim: Ein Shopping Center der Zukunft ist nicht nur ein Ort zum Einkaufen, sondern ein multifunktionaler Lebensraum, der sich an die Bedürfnisse und Wünsche der Besucher anpasst und ein umfassendes, ansprechendes und nachhaltiges Einkaufserlebnis bietet. Ich persönlich bin ein großer Fan von südeuropäischen Shopping Centern, die oft neben einer erlebnisorientierten Architektur, einem vielfältigen Angebot auch faszinierende regionale Angebote in den Bereichen Lebensmittel und Gastronomie offerieren. Zusätzlich werden diese Objekte von den Kunden als Marktplatz und Treffpunkt wahrgenommen.


Dr. Andreas Martin
Geschäftsführer
CONCEPTA Projektentwicklung GmbH