Zurück aus den Tiefen der Krise

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Einkaufen in Corona-Zeiten: Ohne Maske geht´s nicht © kasto / stock.adobe.com

Herausforderung

Richard Haimann

Rund um den Globus erholt sich die Wirtschaft. Vor allem in Deutschland geht es schon wieder kräftig aufwärts, sodass der Eindruck entsteht, hierzulande habe man die Herausforderungen bislang besser gemeistert als in anderen Nationen. Über die Freude darüber darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Pandemie noch nicht besiegt ist. Außerdem sind die gesellschaftlichen Aufgaben, die vor uns liegen, weiterhin gewaltig: Klimawandel, Mobilitätskonzepte, Fachkräftemangel, globale Konflikte, Streit um die Verteilung natürlicher Ressourcen – das alles darf nicht auf die lange Bank geschoben werden

Es misst nur das Zehntausendstel eines Millimeters – und es ist doch stark genug, das Gefüge der Weltwirtschaft zu erschüttern: Das Sars-CoV2-Virus hat, Stand 28. Oktober, nach Berechnungen der Johns-Hopkins-Universität mehr als 44 Millionen Menschen rund um den Globus infiziert und 1,17 Millionen Leben gefordert. Von Regierungen zeitweise verhängte Lockdowns und die Angst der Konsumenten vor einer Infizierung haben die globale Konjunktur zurückgeworfen. Ein winziges Gebilde aus Proteinen stellt die Menschheit seit Dezember vergangenen Jahres vor eine der größten Herausforderungen der neueren Geschichte.

Die Pandemie hat inmitten eines 75 Jahre währenden Friedens in den Staaten der westlichen Industrienationen Bilder entstehen lassen, die an einen Kriegszustand erinnern: In der Nacht vom 18. auf den 19. März holt eine Kolonne von Militärlastwagen Särge mit Covid19-Opfern aus dem italienischen Bergamo ab, weil die Krematorien in der 122.000 Einwohner zählenden Stadt mit dem Verbrennen von Leichen nicht mehr nachkommen. Vor den Krankenhäusern New Yorks werden im April Kühlanhänger geparkt, um tausende tote Körper vor der Verwesung zu bewahren, bis sie schließlich in Massengräbern beigesetzt werden können.

Ebenso düster und verstörend sind die Prognosen der Ökonomen. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, verheißt in ihrem Juni-Gutachten der globalen Konjunktur einen Einbruch von bis zu 7,6 Prozent, der deutschen Wirtschaft von bis zu neun Prozent. »Die Corona-Pandemie führt zur schwersten Wirtschaftsrezession seit fast einem Jahrhundert und hat gravierende Auswirkungen auf Gesundheit, Beschäftigung und Lebensqualität«, warnt damals OECD-Generalsekretär Angel Gurría.

Es wird wieder konsumiert!

Doch die Wirtschaft ist resistenter als erwartet. Nachdem die Lockdowns aufgehoben werden, zieht rund um den Globus der Konsum wieder an, fahren Unternehmen die Produktion wieder hoch. Anfang Oktober, zu Beginn des vierten Quartals, wechselt Kristalina Georgiewa, geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, von Moll auf Dur. Sie verkündet: »Die Weltwirtschaft kommt zurück von den Tiefen der Krise.«

Das Münchner IFO-Institut für Wirtschaftsforschung und das europäische Ökonomen-Netzwerk EconPol heben in einer gemeinsamen Studie, basierend auf der Befragung von 950 Konjunkturexperten in 110 Ländern, den Ausblick deutlich an: Um lediglich noch 4,4 Prozent wird danach die globale Wirtschaftsleistung in diesem Jahr zurückgehen – und soll dafür 2021 kräftig zulegen. Am besten soll danach China, Ausgangspunkt der Pandemie, durch das Krisenjahr kommen – mit einem positiven Konjunkturwachstum von voraussichtlich 2,3 Prozent.

Gut schlägt sich auch Deutschland. Während die Bundesregierung Ende September noch verhalten von einem Rückgang von 5,8 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt, dem Gesamtwert aller erzeugten Güter und erbrachten Dienstleistungen, ausgeht, sind andere Auguren zuversichtlicher. Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut erwartet nur noch ein Minus von fünf Prozent, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung gar nur von 4,7 Prozent. Einigkeit herrscht darüber, dass im kommenden Jahr das Wachstum mit Macht zurückkehrt: In ihrer Gemeinschaftsdiagnose stellen die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ein Plus von 5,8 Prozent für 2021 in Aussicht.

Was bei der Bekämpfung der Pandemie aus dem Blickfeld gerät, sind die zahlreichen anderen Herausforderungen, mit denen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft rund um den Globus konfrontiert sind: Der Klimawandel ist auch in diesem Jahr weiter vorangeschritten. Juni, Juli und August waren die wärmsten Sommermonate auf der Nordhalbkugel seit Beginn des 1979 von der europäischen Weltraumorganisation ESA gestarteten Erdbeobachtungsprogramms Copernicus. Der September war sogar global der bislang wärmste neunte Monat eines Jahres in dieser Zeit mit einem Temperaturanstieg von 0,05 Grad Celsius gegenüber dem September 2019, der bislang als der wärmste der vergangenen 41 Jahre galt.

Die Crux mit den Elektroautos

Um den Kohlendioxidausstoß zu begrenzen, wollen Regierungen weltweit den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und die Automobilindustrie dazu bringen, Fahrzeuge mit Elektroantrieben statt mit Verbrennungsmotoren zu produzieren. In der Pandemie bevorzugen jedoch viele Arbeitnehmer das eigene Auto gegenüber Bus, S- und U-Bahn. Für die Produktion der Speicherbatterien in Elek­trofahrzeugen werden Lithium und Cobalt benötigt. Das belastet Natur und Menschen massiv, wie die Dokumentationen »Kann das Elektroauto die Umwelt retten?« der ARD und »Der wahre Preis der Elektroautos« des ZDF im vergangenen Jahr gezeigt haben. Cobalt wird vor allem im Kongo geschürft, in erheblichem Umfang von Kindern, die durch den Kontakt mit dem Schwermetall chronische Gesundheitsschäden erlangen können. Bei der Gewinnung von Lithium verkommen durch massive Nutzung des Grundwassers ganze Landstriche in Südargentinien zu trockenen Wüsten. Den dort lebenden Bauern wird damit die Lebensgrundlage genommen.

Die in dem lateinamerikanischen Land entbrannten Konflikte um den Lithium-Abbau stehen beispielhaft für eine weitere globale Herausforderung: Sauberes Wasser wird immer knapper. Durch die Erderwärmung ausbleibende Regenfälle lassen in zahlreichen Regionen der Welt, darunter auch in Teilen Deutschlands, den Grundwasserspiegel sinken. Der global wachsende Einsatz von Pestiziden und Herbiziden in der Landwirtschaft verunreinigt die verbleibenden Wasservorkommen in den Erdschichten. Die zur Gewinnung nachhaltiger Energie errichteten Staudämme mit ihren Wasserkraftwerken bringen Anrainer von Flüssen um das zur Bewässerung von Feldern benötigte Nass.

Kampf um Wasser

Beispielhaft dafür steht der entbrannte Streit der Nil-Staaten. Äthiopien errichtet gerade an dem mit 6.650 Kilometern längsten Fluss der Erde den Grand Ethiopian Renaissance Dam. Wenn die größte Talsperre Afrikas 2022 fertiggestellt ist, wird sie 74 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen und das angeschlossene Kraftwerk mit seinen 16 Turbinen 6.000 Megawatt Strom pro Jahr erzeugen. Doch während der in diesem Sommer begonnenen Aufstauphase führt der Nil deutlich weniger Wasser in den Sudan und nach Ägypten. Dabei liefert im trockenen Nachfolgeland des einstigen Pharaonenreichs der Fluss 97 Prozent des Wassers für Menschen und Landwirtschaft. Die Lage ist so brisant, dass Kairo und Karthum den Weltsicherheitsrat angerufen haben. Die USA, enger Verbündeter Ägyptens, haben ihre Finanzhilfen für Äthiopien gekürzt. China hingegen unterstützt Addis Abeba.

Eine weitere Herausforderung für die Industrienationen ist der Fachkräftemangel. Insbesondere in Deutschland. Gerade hier haben die Schulschließungen im Lockdown aber auch gezeigt, wie weit das Land in der Digitalisierung und der Modernisierung des Bildungssystems zurückhängt. Während in Dänemark selbst Grundschulen problemlos auf Internet-Unterricht umstellen konnten, fehlt etlichen Pädagogen hierzulande auch im Jahr 2020 noch immer die Ausstattung, – und zum Teil auch das Wissen – um online zu lehren. Ganz zu schweigen von noch immer nicht landesweit vorhandenen schnellen Datenstraßen.

Deutlich profitiert von der Konjunkturerholung in Deutschland hat der Einzelhandel. Seit Mai wird Monat für Monat mehr umgesetzt als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. 3,8 Prozent beträgt nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes das reale Umsatzplus im Wonnemonat, 3,7 Prozent sind es im August. »Damit hat der Handel die Scharte, die der Lockdown hinterlassen hat, mehr als ausgewetzt«, sagt Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa beim Vermögensverwalter der Deutschen Bank, DWS.

Das Ziel: unbeschwertes Shoppen

Ein detaillierter Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass nicht alle Sparten zugelegt haben. Am kräftigsten gewachsen sind im August Internethändler mit einem Umsatzplus von 23 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, gefolgt von Fachhändlern für Möbel und Haushaltsgeräte sowie vom Baustofffachhandel mit einem realen Plus von jeweils 8,1 Prozent. Beim Lebensmitteleinzelhandel beträgt der Zuwachs 2,6 Prozent. Deutliche Einbußen musste hingegen der Textil-, Schuh- und Lederwarenfachhandel mit einem Minus von real 10,3 Prozent hinnehmen, Waren- und Kaufhäuser verloren 2,5 Prozent.

Das liegt auch daran, dass manche Konsumenten aus Furcht vor einer Covid-19-Infektion lieber über das Internet shoppen, als Fachhändler aufzusuchen. Der stationäre Fachhandel steht vor der Herausforderung, seinen Kunden durch solide Hygienekonzepte das für einen unbeschwerten Einkauf nötige Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Bis ein Vakzin gegen das Corona-Virus gefunden ist. Daran forschen weltweit mehr als 500 Pharma- und Biotechunternehmen. Stand Mitte Oktober sind 203 Impfstoffprojekte angelaufen; zehn von ihnen befinden sich bereits in Phase III, der letzten Teststufe vor der Zulassung.

Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist